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Köhler, Walther; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1937/38, 3. Abhandlung): Omnis ecclesia Petri propinqua: Versuch einer religionsgeschichtlichen Deutung — Heidelberg, 1938

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https://doi.org/10.11588/diglit.41995#0018
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18

Walther Köhler:

Aber dürfen wir die potestas ligandi et solvendi des Petrus,
die δύναμις του δεΐν καί λύειν in diesen Zusammenhang der Antike
bringen ? Scheint sie nicht ,,das ganz Andere“ zu sein ? Dort leib-
liche Güter, hier das höchste geistige Gut der Sündenvergebung?!
Die scharfe Trennung wäre stichhaltig, wenn sich die antike δύναμις
der Heroen auf die leiblichen Güter beschränkte. Das aber ist nicht
der Fall. Es läßt sich ein geistiger Verkehr zwischen Menschen und
Heroen nachweisen76. Herakles verleiht Tugend, der Heros Prote-
silaos gibt dem Winzer Einsicht, denn der Heros ist voll Weisheit,
Apollonius von Tyana bittet am Grabe des Heros Palamodes um
Weisheit, sogar die schöne Helena kann geistig wirken: sie haucht
dem Homer dichterische Kraft ein; in Apulien war ein Heiligtum
der Kassandra, bei dem Mädchen in ihren Herzensangelegenheiten
Trost und Hilfe suchten und fanden; andere bekamen sie am Grabe
des Jolaos oder dem der Rhadine und des Leontichos auf Samos77,
so wie heute auf dem Pere-Lachaise in Paris am Grahe von Abä-
lard und Heloise78, ist etwas dagegen einzuwenden, die δύναμις
του δεΐν καί λύειν als fließende Heroenkraft zu deuten ? Sie ist
seine, des Petrus, δύναμις, vom Herrn selbst Mt. 16 ihm gegeben.
Es kommt die Frage: Wie gewinnt sie Kallist ? Die Kraft des
Heros, sahen wir, spielt am Grabe. Wer das Grab des Pleros be-
sitzt, verfügt über des Heroen Kraft79, hat sie zur Disposition, wenn
er ihrer bedarf. In dieser — soll man sagen: glücklichen ? — Lage
ist Kalbst gewesen. Bekanntlich berichtet um das Jahr 200 Caius,
der εκκλησιαστικός άνήρ in Rom, für uns erstmalig, von den Grä-
bern des Petrus und Paulus in Rom, jenes am Vatikan, dieses an
der Straße nach Ostia. Diesen Besitz nutzt der Bischof von Rom
76 Ohle kt II, 12.
77 ib.
78 Farnell 330. Faß die δύναμις του δεΐν καί του λύειν sich auswirkt
an andern, während beim Heroenkult der Empfänger seine Kraft für sich
behält, ist kein Gegenargument gegen meine These. Die Auswirkung liegt in
der Sonderart der christlichen δύναμις, aber nicht an besonderer Übertra-
gungsart; die ist hüben und drüben dieselbe (derivare). Übrigens wirkt die
auf den Jäger vom Heros Herakles überströmende Kraft sich auch aus
am Hasen.
79 Foucart 65: „posseder le corps et le tombeau d’un heros, c’etait le
fixer au sol, dans lequel ses restes morteis reposaient, l’avoir pour ainsi
dire ä sa disposition en cas de besoin“. Vgl. 111: „Pour assurer sa
prösence, qui ötait la condilion necessaire de sa protection, il fallait pesseder
son tombeau“. Pfister: „Reliquienkult“ II, 527: „Wer im Besitz des Grabes,
ist, hat am ehesten die Möglichkeit, der Hilfe des Heros teilhaftig zu werden“.
 
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