Metadaten

Köhler, Walther; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1937/38, 3. Abhandlung): Omnis ecclesia Petri propinqua: Versuch einer religionsgeschichtlichen Deutung — Heidelberg, 1938

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.41995#0019
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Omnis ecclesia Petri propinqua.

19

in seinem Edikt für seine Zwecke aus. Warum nimmt er den
Petrus und nicht den Paulus, oder alle beide ? Weil Paulus nicht
die δύναμι,ς besaß, die der Bischof brauchte, zu binden und zu
lösen, zu Petrus aber dominus dixit usw., wie es Kallist ja sagt30.
Die Frage Hugo Kochs81: „Wie aber ins Ganze der hier zusammen-
laufenden Vorstellungen das Petrusgrab hereinspielen sollte, ver-
mag ich mit dem besten Willen nicht einzusehen“, kann nunmehr
wohl als beantwortet gelten. In diesen Zusammenhang muß sie
hineinspielen; das hat Adolf v. Harnack richtig empfunden, ohne
freilich die nähere Begründung zu geben. Als Besitzer des Petrus-
grabes gebraucht Kallist die dem Heroen Petrus vom Herrn ver-
liehene Kraft, wie Analoges sich im antiken Heroenkult unzählige
Male vollzogen hatte.
Für sich, das heißt: für seine Kirche. Wie deutet sich das
id est ad omnem ecclesiam Petri propinquam hzw. τουΡ έστι εις
πασαν (πασαν τήν oder δλην την) έκκλησίαν του Πέτρου συγγενή82 ?
Hier ist heranzuziehen die Ideologie des mit dem Heroenkult
wurzelhaft verbundenen Ahnenkultes83. In ihm begegnet der Vor-
stellungskreis der Verwandtschaft, der Sippe, propinqui, συγγενείς,
προσήκοντες ständig, wiederum durch die ganze Religionsgeschichte
hindurch von den Primitiven bis zur Gegenwart. Die Verwandten
sind die Träger des Totenkultes84. In Australien etwa verzehren
bei den Wilden die Verwandten etwas von der Leiche des Ver-
80 Die Argumentation von Fascher, die Bezugnahme auf das Grab
sei „falsch“, weil um 200 bloß von den Gräbern der beiden Apostelfürsten
die Rede sei, ist mir unverständlich; es ist die Rede von zwei Gräbern, warum
kann Kallist nicht das eine nutzen, weil er es brauchen kann, das andere nicht,
weil es für seinen Zweck unfruchtbar war ? — Daß Petrus eine unmittelbare,
und noch dazu diese δύναμις κυρίου besaß, hat wohl dazu beigetragen, ihn
dem Paulus gegenüber zu überhöhen. -— Daß Oiigenes (s. u.) Petrus und
Paulus für die αφεσις των αμαρτιών geltend macht, spricht nicht gegen unsere
Deutung. Zunächst redet er nur theoreiice, nicht praclice, sodann lallt für
ihn das römische Element fort, das Kallist brauchte (id. est omnem eccle-
siam). Das gab nur Petrus als Oikist, nicht Paulus. Und schließlich braucht
der Gedanke des Origenes nicht der Kallists Zu sein.
S1 ZNW. 1932, 71.
82 So richtig H. Koch; v. Harnack (a. a. 0. 148) trifft mit τήν τοϋ
πέτρου πλησίαν nicht den Sinn. — Die Frage, ob τήν hinter πασαν zu setzen is!,
bleibt zunächst noch offen.
83 Die Frage, ob aller Heroenkult auf Ahnenkult zurückgeht (so Fustki.
de Coulanges: ,,La citö antique“ 1866, 2. Aufl., Nilsson 232: ,,the heroes
were regarded as ancestors“), ist für unsere Zwecke unwesentlich.
84 F. Pfister: „Die Religion der Griechen und Römer“, 1930, 139.

2*
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften