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Walther Köhler:
storbenen85, um seine Kraft sich anzueignen. Bei den Taccullis in
Nordwestamerika wird die Seele eines Ahnen durch den Medizin-
mann übertragen, der seine Hände auf die Brust des Sterbenden
oder Toten legt, dann über den Kopf eines Verwandten hält
und hier durchbläst — dieser ist der Empfänger der freigewordenen
Seele86. Pindar (Od. VIII, 72ff.87) sagt: εστι δέ και τι Αανόντεσσιν
μέρος καν (κατά) νόμον έρδομένων, κατακρύπτει δ’ού κόνις συγγόνων
κεδνάν χάρον. Die Labyadeninschrift zu Delphi um das Jahr 400
bekundet: um die früher Verstorbenen soll man an den Grabstätten
nicht klagen und jammern, sondern jeder soll nach Hause gehen
mit Ausnahme der Hausgenossen, der Verwandten und Ver-
schwägerten88. Cicero (de legibus II 63, S. 122 Vahlen) berichtet
von den athenischen Bestattungssitten: es folgte ein Mahl, an dem
die Verwandten (propinqui) bekränzt teilnahmen. Sehen wir in
die nachchristliche Zeit, so bezeugt dasselbe Lucian in seiner Schrift
über die Trauer, daß beim Totenmahl „zugegen sind die Ver-
wandten11 (οι προσήκοντες89). Photius in seiner λέξεων συναγωγή (I
303 Naber) hat uns die Notiz aufbewahrt: τή πρώττ) ήμέρα του τελευ-
τήσαντος οι προσήκοντες συνελ-Οόντες έδείπνουν επί τω τελευτήσαντι90;
entsprechend war die Feier des „Dritten“, des „Dreißigsten“
und des Jahrgedächtnisses Pflicht der Verwandten91 — schon
in der Antike. Zahlreiche Darstellungen dieser Verwandten-
Totenmähler sind bekannt von rund 400 v. Chr. an bis in die Mixte
der Kaiserzeit in allen griechischen Ländern92. Auch an die Paren-
talien vom 13. bis 22. Februar als Gedächtnisfeier der zur Ehrung
der toten Familienglieder zusammengekommenen Verwandten
sei erinnert93. Aus der Kaiserzeit läßt sich der Ausdruck ήρως συγ-
85 E. Samter: „Geburt, Hochzeit und Tod“, 1911, 179.
86 Behm 108, nach W. Kroll (Rhein. Mus. 52, 1897, 338).
S7 Bei Wassner 40.
88 Vgl. E. Freistedt: „Altchristi. Totengedächtnistage und ihre Bezie-
hung zum Jenseitsglauben und Totenkultus der Antike“, 1928, 123. Der Text
der Inschrift bei L. Ziehen: „Leges Graecorum sacrae“ II, 1, 1906, Nr. 74,
S. 218. Zur Sache auch Rohre 204, Anm. 207. — Umgekehrt hebt Plutarch1
( Pelopidas 33) es besonders hervor, daß bei der Leichenfeier des άνήρ δημοτι-
κός die συγγενείς nicht anwesend waren, da er επί ξένης τεθνηκώς.
89 Freistedt 74.
90 Vgl. Th. Klauser: „Die Cathedra im Totenkult“, 1927, 14. A. Neh-
iuNg: „Seele und Seelenkult bei Griechen, Italikern und Germanen“, 1917, 7.
9:1 Klauser 17 und 52, 94. 92 ib. 69.
93 „Man nannte den Tag (22. Febr.) darum Caristia oder Cara cognatio
ein Fest verwandtschaftlicher Liebe“ (Klauser 173).
Walther Köhler:
storbenen85, um seine Kraft sich anzueignen. Bei den Taccullis in
Nordwestamerika wird die Seele eines Ahnen durch den Medizin-
mann übertragen, der seine Hände auf die Brust des Sterbenden
oder Toten legt, dann über den Kopf eines Verwandten hält
und hier durchbläst — dieser ist der Empfänger der freigewordenen
Seele86. Pindar (Od. VIII, 72ff.87) sagt: εστι δέ και τι Αανόντεσσιν
μέρος καν (κατά) νόμον έρδομένων, κατακρύπτει δ’ού κόνις συγγόνων
κεδνάν χάρον. Die Labyadeninschrift zu Delphi um das Jahr 400
bekundet: um die früher Verstorbenen soll man an den Grabstätten
nicht klagen und jammern, sondern jeder soll nach Hause gehen
mit Ausnahme der Hausgenossen, der Verwandten und Ver-
schwägerten88. Cicero (de legibus II 63, S. 122 Vahlen) berichtet
von den athenischen Bestattungssitten: es folgte ein Mahl, an dem
die Verwandten (propinqui) bekränzt teilnahmen. Sehen wir in
die nachchristliche Zeit, so bezeugt dasselbe Lucian in seiner Schrift
über die Trauer, daß beim Totenmahl „zugegen sind die Ver-
wandten11 (οι προσήκοντες89). Photius in seiner λέξεων συναγωγή (I
303 Naber) hat uns die Notiz aufbewahrt: τή πρώττ) ήμέρα του τελευ-
τήσαντος οι προσήκοντες συνελ-Οόντες έδείπνουν επί τω τελευτήσαντι90;
entsprechend war die Feier des „Dritten“, des „Dreißigsten“
und des Jahrgedächtnisses Pflicht der Verwandten91 — schon
in der Antike. Zahlreiche Darstellungen dieser Verwandten-
Totenmähler sind bekannt von rund 400 v. Chr. an bis in die Mixte
der Kaiserzeit in allen griechischen Ländern92. Auch an die Paren-
talien vom 13. bis 22. Februar als Gedächtnisfeier der zur Ehrung
der toten Familienglieder zusammengekommenen Verwandten
sei erinnert93. Aus der Kaiserzeit läßt sich der Ausdruck ήρως συγ-
85 E. Samter: „Geburt, Hochzeit und Tod“, 1911, 179.
86 Behm 108, nach W. Kroll (Rhein. Mus. 52, 1897, 338).
S7 Bei Wassner 40.
88 Vgl. E. Freistedt: „Altchristi. Totengedächtnistage und ihre Bezie-
hung zum Jenseitsglauben und Totenkultus der Antike“, 1928, 123. Der Text
der Inschrift bei L. Ziehen: „Leges Graecorum sacrae“ II, 1, 1906, Nr. 74,
S. 218. Zur Sache auch Rohre 204, Anm. 207. — Umgekehrt hebt Plutarch1
( Pelopidas 33) es besonders hervor, daß bei der Leichenfeier des άνήρ δημοτι-
κός die συγγενείς nicht anwesend waren, da er επί ξένης τεθνηκώς.
89 Freistedt 74.
90 Vgl. Th. Klauser: „Die Cathedra im Totenkult“, 1927, 14. A. Neh-
iuNg: „Seele und Seelenkult bei Griechen, Italikern und Germanen“, 1917, 7.
9:1 Klauser 17 und 52, 94. 92 ib. 69.
93 „Man nannte den Tag (22. Febr.) darum Caristia oder Cara cognatio
ein Fest verwandtschaftlicher Liebe“ (Klauser 173).