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Köhler, Walther; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1937/38, 3. Abhandlung): Omnis ecclesia Petri propinqua: Versuch einer religionsgeschichtlichen Deutung — Heidelberg, 1938

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https://doi.org/10.11588/diglit.41995#0035
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Omnis ecclesia Petri propinqua.

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was dem einen Märtyrer recht ist, ist dem anderen billig. Also:
effundit155 Callistus hanc potestatem et in martyras suos — zum
hellen Grimm Tertullians. Nachdem er die Kraft des Märtyrers
Petrus fruktifiziert hatte, konnte er sie seinen Märtyrern füglich
nicht weigern. Freilich waren Unterschiede da: „seine“ Märtyrer
lebten noch und wirkten noch nicht ex sepulcro, aber das ist da-
mals noch nicht für die Wertung des Märtyrers das Entscheidende
gewesen, die Hauptsache war das ύποφέρειν πόνους und Zeugnis-
Ablegen vor den heidnischen Machthabern156; darin stimmten
„seine“ Märtyrer mit Petrus. Die potestas ligandi et solvendi aber
folgte bei jenen nicht auf Grund besonderer Verheißung, sondern
in Kraft der von ihnen bewiesenen δύναμις, auch die schwerste
Sünde, die idololatria und die Verleugnung Christi zu überwinden:
sie waren der Sünde Herr geworden157. Den kulturellen Hinter-
grund aber bildet die antike Heroisierung lebender, hervorragender
Menschen.
Innerhalb der Geschichte des Papsttums bedeutet „der Fall
Kallist“ eine Episode. Die Verwertung der Kraft des Petrusgrabes
zu Zwecken der Bußdisziplin ist allem Anschein nach singulär ge-
blieben. Ob der Protest Tertullians dafür entscheidend war, ist
nicht auszumachen. Möglich, daß die Autorität des im Schisma
mit Hippolyt lebenden Bischofs nicht stark genug war. Möglich
auch, daß die Antike sich in jener Verwertung zu kraß aufdrängte.
Sie war in starkem Maße ein Import aus Kleinasien, und mit Klein-
asien war das amtliche Rom durch den Osterstreit zerfallen. Es ist
archäologisch festgestellt, daß zwar zu Anfang des dritten Jahr-
hunderts — das wäre die Zeit Kallists! — heidnische Bestattungs-
formen in christianisierter Umwertung die christliche Grabplastik
beeinflußten, dann aber bereits die Grundformen des antiken Gra-
bes kultisch aus dem Heidentum bedingt empfunden und abgelehnt
wurden, eine Abkehr von der Antike, die sich bis zu Diokletian
155 Schwerlich ist die Wahl gerade dieses Wortes zufällig. Es steht in
Parallele zu derivare: Du, der Du Dir anmaßest, die Gewalt des Petrus sei
auf Dich übergeströmt, lassest sie noch weiter strömen, gießest sie aus auch
auf die Märtyrer. Ganz in dynamischer Sphäre!
15G Zu der Begriffsgeschichte des Märtyrers vgl. v. Campenhausen und
Delehaye. Tertullian 74, 6ff. empfindet lebhaft den Unterschied zwischen
dem toten und lebenden Märtyrer.
157 Ganz richtig spricht Adam (Das sogen. Bußedikt usw. 49) von einer
potestas der Märtyrer. Daß Kallist sie nicht zuerst „aufgebracht“ hat, zeigt
Preuschen 26.

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