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Bohnenstädt, Elisabeth; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 1. Abhandlung): Kirche und Reich im Schrifttum des Nikolaus von Cues — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.41996#0034
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Elisabeth Bohnen städt:

auf bestimmte notwendige und mögliche Reformen weisende Niko-
laus von Cues.
Entflammte Dante eine idealistisch begeisterte Hoffnung auf
den nahenden jungen Kaiser, daß dieser immer noch fähig sei, alle
Not zu wenden und alle Zerrüttung zu heilen, wenn er nur in kraft-
vollem Auftreten sich seiner eigenen Gewalt bemächtige: Niko-
laus von Cues steht im 15. Jahrhundert einerseits inmitten
eines schon schier hoffnungslosen Zerfalls der alten Ordnung, an-
dererseits inmitten manchen neu erwachenden Lebens. Ein abend-
ländisches Kaisertum als solches war fast vollends gegenstandslos
geworden. Unter weitgehender Säkularisation des Staats- und
Kulturlebens und dem allgemeinen Schwinden des ursprünglichen
Gefühls für die heilige Weibe des Herrscher- und Führertums, für
das echte Gottesgnadentum erwachten die verschiedenen Völker
Europas -— außer Deutschland und Italien auch in einheitlicher
dynastischer Leitung •— mehr und mehr zu völkischer Selbst-
bewußtheit und Eigenprägung. In Deutschland rief zwar das Volk
wohl mehr als je nach seinem Kaiser. Aber indessen dieser seine
territorialen Interessen den kaiserlichen Aufgaben voranstellte,
beeilten sich auch die übrigen Territorialfürsten, in Ausräubung
der kaiserlichen Macht volle landesherrliche Gewalt an sich zu
bringen, aber auch, die praktisch-irdischen Aufgaben eines deut-
schen Fürsten über deutsches Volk tatkräftig auf sich zu nehmen.
Das Papsttum sah reichlicher als je seine als von einer politischen
Macht ausgestreute Saat dahin aufgehen, daß es auch als solche
Macht behandelt wurde. Als Kreatur von Parteien und Geschlech-
tern oder von Frankreichs Gnaden geriet es zwischen den Händen
der Gegner in verschiedener Weise in Bedrängnis. Auf der anderen
Seite zwar zeigte sich Sehnen und versuchender Wille der abend-
ländischen Christenheit zur einen heiligen Kirche noch einmal in
manchem Bemühen der sogenannten Reformkonzile, den letzten
Zeugnissen lebendigen Christentums als einer ganz Europa durch-
flutenden Kraft', die sieb zum -— nicht erreichten •— Ziel setzte,
Einheit und Reinheit der Kirche nach Möglichkeit wieder herzu-
stellen. — In aufbäumenden Kämpfen und Zuckungen wie in müder
Erstarrung oder Resignation ging das 'christliche Mittelalter’ sei-
nem Ende zu24. Es hatte mit seinen erhabenen Erfüllungsideen
gewagt, in kraftvoll weltumfassenden Spannungen leben zu wollen,
zu denen aber die Einzelnen als Reichstragende wie als Kirchen-
tragende meist noch nicht herangewachsen waren.
 
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