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Bohnenstädt, Elisabeth; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 1. Abhandlung): Kirche und Reich im Schrifttum des Nikolaus von Cues — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.41996#0045
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Gusanus-Studien: III. Kirche u. Reich i. Schrifttum des Nikolaus von Cues. 35
seitigen Dienen der Liebe einer mit dem andern in wirklichem
Werden und Wachsen das Gleiche nur, insofern ein Geist beide
bewegt, eine Absicht beide beseelt: die einstimmige Gemeinsam-
keit und Allgemeinheit, die der einen unendlichen Fülle der Gottes-
ebenbildlichkeit entgegenstrebt. Und wo im letzten Gott, die er-
füllte Wesentlichkeit der Liebe, der Geliebte ist, bleibt der Geist
in aller Liebe frei, weil die Liebe die Verbindung unseres freien
Geistes mit dem belebenden Leben ist, bleibt und wächst er selbst
in der Liebe, die allem einzelnen Liebenswerten als Grund und Ur-
sache vorangeht. So wandelt sich der liebende Geist in Gott hin-
über, der der verborgene Gott ist, und den er doch ohne ihn zu
kennen auch nicht wahrhaft liebte; dies aber kann nicht geschehen,
Gott werde denn in gewisser Weise in den Menschen gewandelt.
So ist wahre Liebe ein Sichunterwerfen, das einzig größte Freiheit,
ein Dienen, das Herrschen ist36.
Der freie Wille des Menschen aber wählte nicht die Gottes-
liebe, nicht das Leben, das das Licht der Welt war. In selbst-
herrlicher Anmaßung der verstandesmäßigen Kraft und ihrer sich
alles dienstbar machenden Herrscherfähigkeit über die vielfältigen
äußeren Erfahrungsgegenstände sagte er sich los vom Gehorsam
gegen Gott, den Schöpfer, verachtete er die vollendende Leitung
durch die lebendige Weisheit Gottes, durch das Wort oder die
ewige Vernunft selbst. Der Mensch war, wollte Gott sein, wollte
als selbst ein Gott das Gute und Böse wissen und entscheiden, wollte
wissen, bevor er glaubte. In dieser anmaßenden Lossage vom
erfüllenden Leben, von der göttlichen Weisheit, in diesem Verluste
der ursprünglichen rechten Ausrichtung wurden wir eitel und arm,
schwach und dem Tode verfallen. Ist es nämlich das ewige, volle
Leben der einsichtigen Vernunft, im letzten die ewige, unwandel-
bare Fülle, Gott, im Lichte seines Wortes zu erfassen, so ist es ihr
ewiger Tod, von diesem eigentlichen ewigen Ziele getrennt in immer
mehr in sich zusammenfallende Wirrnis und Finsternis zu stürzen;
deren scheinhafte Aufbaukraft ist Lüge, Sünde, weil sie der wahren
Erkenntnis alles Einzelnen wie der Ganzheit, die von Gott und
seinem Lichte her bestimmt ist, widerstrebt. In dieser einen rechten
Sicht erweist sich die Sünde als stets nicht aus der Natur, sondern
gegen die Natur und zerstörend die natürliche Schönheit der mensch-
lichen Seele, d. h. ihr wahres und lebenverbundenes Erkennen. Wohl
blieb uns nach wie vor unser seinshaftes Gutsein des vom Schöpfer
geschaffenen Geschöpfes als solches, Veranlagung und Anruf zur

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