Elisabeth Bohnenstädt:
1.14
im Grunde vielleicht Gleiche in anderer Beleuchtung gesehen; oder
gleiche und ähnliche Ausdrücke erhalten anderen Bezug als in
thomistischer und nachthomistischer Zeit. Cusanus steht in einem
innerkirchlichen Reformversuch, der gegenüber den Grenzverwi-
schungen im spätmittelalterlichen Kirchenbegriff wieder eine rechte
Grenzziehung, die der Alten, weisen möchte. Man kann vielleicht
noch bei Cusanus von ' Kirche’ als dem auch in erscheinungshaftem
Sinne alles an Macht und Aufgabe Umfassenden reden; aber dies
Umfassende deckt sich nicht mit der erscheinungshaften Kirche;
das Reich selbst ist als 'Kirche’ geschaut. So wenig man, auf den
wesentlichen Inhalt achtend, Thomas von Aquin in einem Gegen-
satz zu Augustinus sehen kann, so scheinen doch Thomas von Aquin
und Nikolaus von Cues von jeweils anderer Strömung einer Deu-
tung augustinischer Gedanken in Hinsicht auf Staat und Kirche
beeinflußt zu sein. Indessen manche auch ohne wegwerfenden
Blick auf den Staat als den 'Erdenstaat’ doch die irdisch-erschei-
nungshafte Kirche als den 'Gottesstaat’ sehen wollten, so scheint
jedenfalls Cusanus von einer Anschauung beeindruckt, die angu-
stinische Gedanken über den 'Gottesstaat’ in positiver Anwendung
auf das Reich bezog, auf das in seiner Erfüllungsidee gesehene
'heilige römische Reich deutscher Nation’. Es mag zwar wohl sein,
daß der Optimismus einer solchen Haltung teils durch die erden-
heimische, bürgerliche Sicherheit der spätmittelalterlichen Kirchen-
auffassung getragen wurde. Aber stärker wirkte bei Cusanus ein
anderes mit: Das Mittelalter sah die Beauftragung der Menschen
vorwiegend vom Auftraggeber, von Gott, seinem (im weiten
Sinne) sakramentalen Gnadenwirken her, sah deshalb die Sorge
für die Erfüllung hauptsächlich als Sache der (Amts-)Kirche an.
Die Mystik überhaupt, die 'deutsche Mystik’ im besonderen,
trug vielleicht ein Wesentliches dazu bei, mehr auf den einzelnen
eigentlich Beauftragten und Angerufenen, die Menschennatur,
aufmerksam zu machen. Und wie für Cusanus -— in voller Treue
zum 'Kirchen’glauben — der auf das Wort Gottes in sich hörende,
die gesamte irdische Lebens- und Kraftfülle einfaltende und zu
deren immer weiterer Ausfaltung berufene Mensch ein besonderes
Anliegen ist, so legt er auch in Betrachtung von dessen Gemein-
schaftsversuch ein größeres Gewicht auf den in seiner eigenen
Natur von Gott in Dienst geforderten Staat. Und ihm ist das
'heilige römische Reich deutscher Nation’ ein deutscher, der
deutsche Reichsbegriff, wie er nur je in einem deutschen Gemüte
1.14
im Grunde vielleicht Gleiche in anderer Beleuchtung gesehen; oder
gleiche und ähnliche Ausdrücke erhalten anderen Bezug als in
thomistischer und nachthomistischer Zeit. Cusanus steht in einem
innerkirchlichen Reformversuch, der gegenüber den Grenzverwi-
schungen im spätmittelalterlichen Kirchenbegriff wieder eine rechte
Grenzziehung, die der Alten, weisen möchte. Man kann vielleicht
noch bei Cusanus von ' Kirche’ als dem auch in erscheinungshaftem
Sinne alles an Macht und Aufgabe Umfassenden reden; aber dies
Umfassende deckt sich nicht mit der erscheinungshaften Kirche;
das Reich selbst ist als 'Kirche’ geschaut. So wenig man, auf den
wesentlichen Inhalt achtend, Thomas von Aquin in einem Gegen-
satz zu Augustinus sehen kann, so scheinen doch Thomas von Aquin
und Nikolaus von Cues von jeweils anderer Strömung einer Deu-
tung augustinischer Gedanken in Hinsicht auf Staat und Kirche
beeinflußt zu sein. Indessen manche auch ohne wegwerfenden
Blick auf den Staat als den 'Erdenstaat’ doch die irdisch-erschei-
nungshafte Kirche als den 'Gottesstaat’ sehen wollten, so scheint
jedenfalls Cusanus von einer Anschauung beeindruckt, die angu-
stinische Gedanken über den 'Gottesstaat’ in positiver Anwendung
auf das Reich bezog, auf das in seiner Erfüllungsidee gesehene
'heilige römische Reich deutscher Nation’. Es mag zwar wohl sein,
daß der Optimismus einer solchen Haltung teils durch die erden-
heimische, bürgerliche Sicherheit der spätmittelalterlichen Kirchen-
auffassung getragen wurde. Aber stärker wirkte bei Cusanus ein
anderes mit: Das Mittelalter sah die Beauftragung der Menschen
vorwiegend vom Auftraggeber, von Gott, seinem (im weiten
Sinne) sakramentalen Gnadenwirken her, sah deshalb die Sorge
für die Erfüllung hauptsächlich als Sache der (Amts-)Kirche an.
Die Mystik überhaupt, die 'deutsche Mystik’ im besonderen,
trug vielleicht ein Wesentliches dazu bei, mehr auf den einzelnen
eigentlich Beauftragten und Angerufenen, die Menschennatur,
aufmerksam zu machen. Und wie für Cusanus -— in voller Treue
zum 'Kirchen’glauben — der auf das Wort Gottes in sich hörende,
die gesamte irdische Lebens- und Kraftfülle einfaltende und zu
deren immer weiterer Ausfaltung berufene Mensch ein besonderes
Anliegen ist, so legt er auch in Betrachtung von dessen Gemein-
schaftsversuch ein größeres Gewicht auf den in seiner eigenen
Natur von Gott in Dienst geforderten Staat. Und ihm ist das
'heilige römische Reich deutscher Nation’ ein deutscher, der
deutsche Reichsbegriff, wie er nur je in einem deutschen Gemüte