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Creutz, Rudolf; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 3. Abhandlung): Medizinisch-physikalisches Denken bei Nikolaus von Cues: und die ihm als "Glossae cardinalis" irrig zugeschriebenen medizinischen Handschriften — Heidelberg, 1939

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https://doi.org/10.11588/diglit.41998#0005
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Cusanus-Studien: IV. Medizinisch-physikalisches Denken bei Nik. v. Cues. 5

philosoph Platonischer und Augustinischer Richtung und ein Theo-
loge. Da ich in diesem in weiteren Kreisen noch wenig gekannten
Salernitaner den wohl größten medizinisch-physikalischen Denker
vor Cusanus erblicken möchte, habe ich seinen naturphilosophi-
schen Problemen, die er außer in seinen Aphorismen und Kommen-
taren noch in einer zweiten Schrift „Liber de commixtionibus
elementorum“ niedergelegt hat1, einige zusammenfassende Aus-
führungen zu schenken. Urso konstruiert sich für seine Anschau-
ungen eine förmliche medizinische Physik der Bewegun-
gen. Bewegungsvorgänge der Elemente, so sagt er, bringen die
Farben hervor und verändern sie. Die Lebensvorgänge, körperliche
wie geistige, beruhen auf den Bewegungen der Spiritus (Lebens-
geister) in ihren Höhlen und Gängen. Der alte Erasistrateische
Begriff des Horror vacui gelangt dabei von neuem zu großer Be-
deutung. Jede Verwandlung der Dinge entsteht aus den Bewegun-
gen der Matur, die ihren jeweiligen Substanzen entspricht. Unwan-
delbar sind allein die göttliche Kraft, die Engel und die Seele.
Bewegung ist auch die Tätigkeit der Qualitäten, sowohl der poten-
tialen wie der aktualen. Bewegung erzeugt und unterhält die ani-
male Wärme. Bewegungen der Spiritus regeln die appetitive und
expulsive Kraft des Magendarmsystems. Veränderungen in den
physikalischen Bewegungen der Spiritus können den Tod bewirken
durch übermäßige Dehnung oder Zusammenziehung des Herzens.
Handlungen der körperlichen Natur und der Seele sind wechsel-
seitig verbunden; leidet die Natur, so meldet sie es der Seele durch
Entsendung der Spiritus; leidet die Seele, so machen es die gleichen
Spiritus der Natur bekannt. Eine große Zahl der 109 Aphorismen
mit der gleichen Zahl der Eigenkommentare lassen zahlreiche
weitere physikalische Ideen hei Urso erkennen.
Rund 250 Jahre nach Urso verfaßte Cusanus seine Schrift ,,De
staticis experimentis2“. Sie ist, um es gleich vorwegzunehmen, ein
Schulbeispiel schöpferischen medizinisch-physikalischen Denkens,
das imGegensatze zu allen theoretisierenden Systemen der Vorgänger
sich als zu praktischen Ergebnissen befähigt erweist. Zur Entwicklung
seiner ganz neuartigen Probleme bedient sich Cusanus eines fingier-
ten Zwiegespräches zwischen einem römischen Philosophen und
einem Laien, in dem er sich selbst personifiziert hat, und er eröffnet
1 Bisher nur in nicht edierten OxfOrder Handschriften.
2 Vgl. Nicolai de Cusa, Opera omnia Bd. V, ed. Ludovicus Baur „De
staticis experimentis“, Leipzig 1937.
 
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