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Nikolaus [Hrsg.]; Koch, Josef [Hrsg.]; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1938/39, 4. Abhandlung): Die Auslegung des Vaterunsers in vier Predigten — Heidelberg, 1940

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https://doi.org/10.11588/diglit.41999#0217
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Drittes Kapitel: Erläuterungen. §2.

217

,,Vnd er is der Vorgang vnd das heubt aller fcheffunge gottes
vnd fint alle die werck gottes ruwende in ym, vnd is das anbegin
des vßfloßis aller creaturen vnd das mittel des widerfloßis vnd das
ende aller volkomenheit. Want die menfchlich nature in ire ver-
einiget alle naturen, die hymelfche vnd irdifche, vnd die is in Chrifto
gottes foen vereiniget, fo is Chriftus das ende aller volkomenheit.
Want er is allein der hogfte vber alle hymelfche vnd irdifche
naturen“.
Diese Sätze, die das zusammenfassen, was Cusanus im dritten
Buch von „De Docta Ignorantia“* 1 geschrieben und in der Augs-
burger Weihnachtspredigt2 vorgetragen hat, zeigen uns dreierlei:
1. Christus ist als „das lebendich broet, das vber alle fubftancie
ader felbftendicheit aller creaturen is“ (S. 60, 8f.)> nicht etwa nur
ein Teil des Mittels des Rückflusses der Geschöpfe, wie man aus
der Disposition in n. 4 herauslesen könnte, sondern das Mittel.
Die andern drei Stücke, ohne die niemand seine Wanderung voll-
enden kann, setzen Christi Werk und Lehre voraus, sind also nur
von hier aus zu werten. 2. Christus ist aber nicht nur das Mittel
des Rückflusses, sondern auch der Anbeginn des Ausflusses und
das Endziel aller Vollkommenheit. Da nun aber Cusanus seine
Auslegung nach diesen Gesichtspunkten disponiert, so muß auch
Christus in ihr die beherrschende Mitte bilden. 3. Der zweite
der oben zitierten Sätze enthält die Begründung des ersten. Die
menschliche Natur ist das 'Und’ zwischen Himmel und Erde (S. 48,
21 f.), da sie die himmlische oder geistige und die irdische oder
sinnliche Natur in sich vereinigt. Da sie nun in Christus durch die
Menschwerdung mit Gottes Sohn vereinigt ist, so ist eine höhere
Vollkommenheit nicht denkbar.
Auf Grund der so gewonnenen Erkenntnis gelangen wir zu
einem tiefem Verständnis der innern Struktur des ganzen Werkes.
Es umfaßt drei große Abschnitte, die auch ihrem Umfang nach
nicht allzu verschieden sind3: die Auslegung der ersten vier Artikel,
also der Anrede und der ersten drei Bitten, bildet den ersten Ab-
schnitt (n. 7—23), dann folgt die Erklärung der Brotbitte (n. 24
entscheidenden Sätze über Christus als Mitte der Schöpfung auch die Mitte
des Werkes bilden. Hier wirkte das sichere Gefühl des Cusanus für Archi-
tektonik.
1 Vgl. besonders III c. 3 und 4.
2 Pr. 16, S. 30ff.
3 Sie stehen zueinander im ungefähren Verhältnis von 4:3:3.
 
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