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Friedrich Panzer:
Daß diese Angaben mindestens in dem, was von der Vor-
geschichte des kyotischen Werkes erzählt wird, eitel Fabeleien sind,
liegt auf der Hand und wird von niemand bestritten. Daß der
Provenzale Kyot nicht provenzalisch, sondern französisch gedichtet
haben soll, ist gegen jede Erfahrung. Aber dies Werk selbst ? Nie-
mand kennt es, weder wir Nachgeborenen noch die Zeitgenossen.
Gewiß hat auch die reiche französische Überlieferung selbst das
Bedeutsame nicht vollständig bewahrt. Aber wir haben dann in
ihr doch wenigstens Andeutungen des Verlorenen, während solche
hier völlig fehlen. Die höchst umfangreiche, untereinander viel-
fältigst verflochtene Gralüberlieferung Frankreichs weist auch nicht
die geringste Spur auf von diesem Kyot und seinem Epos, das
doch, wenn es mit dem Parzival sich deckte, das unvergleichlich
bedeutendste Werk der gesamten Graldichtung gewesen wäre. Und
noch ein anderer Anstoß: Kyot, sagt Wolfram, habe sich be-
schwert, daß von Troiys meister Kristian, d. h. Chrestien de
Troyes, die Gralgeschichte unrichtig erzählt habe, während er die
richtige Überlieferung biete. Spiegelt der Parzival aber Kyots Werk,
so müßte dies mit dem Perceval Chrestiens in seinem Hauptteile
in allem Wesentlichen und recht oft selbst im Wortlaute überein-
gestimmt haben, denn dies ist noch bei Wolframs Parzival der
Fall.
Diese Tatsachen haben, neben manchem anderen, seit Jahr-
zehnten schon eine ganze Anzahl von Gelehrten zu der Überzeu-
gung geführt, die ich teile, daß Wolframs Quellenangaben in
Bausch und Bogen erfunden seien und Wolfram für die Grundzüge
seiner Erzählung keinen anderen Gralroman benutzt habe als eben
Chrestiens Werk, mit dem der Hauptteil des Parzival in den Grund-
zügen wie in vielen Einzelheiten bis in den Wortlaut hinein über-
einstimmt. Freilich finden sich auch nicht wenige Abweichungen
von Chrestien. Aber einmal war der Begriff einer genauen Über-
setzung dem Mittelalter überhaupt unbekannt und zum anderen
zeigt sich Wolfram im Willehalm, wo die französische Quelle un-
bezweifelt ist, der Vorlage gegenüber nicht minder frei. Am selb-
ständigsten erscheinen Anfang und Schluß des Parzival. Chre-
stiens Werk ist unvollendet geblieben; es bricht gegen den Schluß
der sog. zweiten Gawanepisode in Wolframs 13. Buche plötzlich
ab. Der Abschluß von Wolframs Werk hat so weder bei Chre-
stien noch sonst irgendwo in der uns erhaltenen französischen Gral-
überlieferung eine Entsprechung. Das gleiche gilt für den Anfang.
Friedrich Panzer:
Daß diese Angaben mindestens in dem, was von der Vor-
geschichte des kyotischen Werkes erzählt wird, eitel Fabeleien sind,
liegt auf der Hand und wird von niemand bestritten. Daß der
Provenzale Kyot nicht provenzalisch, sondern französisch gedichtet
haben soll, ist gegen jede Erfahrung. Aber dies Werk selbst ? Nie-
mand kennt es, weder wir Nachgeborenen noch die Zeitgenossen.
Gewiß hat auch die reiche französische Überlieferung selbst das
Bedeutsame nicht vollständig bewahrt. Aber wir haben dann in
ihr doch wenigstens Andeutungen des Verlorenen, während solche
hier völlig fehlen. Die höchst umfangreiche, untereinander viel-
fältigst verflochtene Gralüberlieferung Frankreichs weist auch nicht
die geringste Spur auf von diesem Kyot und seinem Epos, das
doch, wenn es mit dem Parzival sich deckte, das unvergleichlich
bedeutendste Werk der gesamten Graldichtung gewesen wäre. Und
noch ein anderer Anstoß: Kyot, sagt Wolfram, habe sich be-
schwert, daß von Troiys meister Kristian, d. h. Chrestien de
Troyes, die Gralgeschichte unrichtig erzählt habe, während er die
richtige Überlieferung biete. Spiegelt der Parzival aber Kyots Werk,
so müßte dies mit dem Perceval Chrestiens in seinem Hauptteile
in allem Wesentlichen und recht oft selbst im Wortlaute überein-
gestimmt haben, denn dies ist noch bei Wolframs Parzival der
Fall.
Diese Tatsachen haben, neben manchem anderen, seit Jahr-
zehnten schon eine ganze Anzahl von Gelehrten zu der Überzeu-
gung geführt, die ich teile, daß Wolframs Quellenangaben in
Bausch und Bogen erfunden seien und Wolfram für die Grundzüge
seiner Erzählung keinen anderen Gralroman benutzt habe als eben
Chrestiens Werk, mit dem der Hauptteil des Parzival in den Grund-
zügen wie in vielen Einzelheiten bis in den Wortlaut hinein über-
einstimmt. Freilich finden sich auch nicht wenige Abweichungen
von Chrestien. Aber einmal war der Begriff einer genauen Über-
setzung dem Mittelalter überhaupt unbekannt und zum anderen
zeigt sich Wolfram im Willehalm, wo die französische Quelle un-
bezweifelt ist, der Vorlage gegenüber nicht minder frei. Am selb-
ständigsten erscheinen Anfang und Schluß des Parzival. Chre-
stiens Werk ist unvollendet geblieben; es bricht gegen den Schluß
der sog. zweiten Gawanepisode in Wolframs 13. Buche plötzlich
ab. Der Abschluß von Wolframs Werk hat so weder bei Chre-
stien noch sonst irgendwo in der uns erhaltenen französischen Gral-
überlieferung eine Entsprechung. Das gleiche gilt für den Anfang.