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Eberhard Freiherr von Künssberg:
Es wird den Beteiligten selten bewußt gewesen sein, daß das
Tabu des Schindermessers oft seinen gesundheitspolizeilichen Grund
hatte. Zum Beispiel wenn es heißt1: War ein Stück Vieh gefallen,
so stieß der Kleemeister sein großes Messer in die Stubentür und
bis er vom Abdecken zurückkam, durfte niemand hinsehen, da dies
den Tod eines weiteren Stückes zur Folge gehabt hätte.
Das Dorfrecht zu Mumpf bei Säckingen2 vom Jahre 1535 ent-
hält folgende Bestimmung:
Wer ouch sach, das jeman ein schädlich vich in oder uf dem sinen
fund, der mag es heimtriben und das haben von einer vesper zuo
der anderen, wirt es dann darzwischen nit dadannen gelöst, so
soll man das dem vogl überantworten, der soll haben ein pferrich,
darin er sölich vich gehalten mag, der soll im für geben ein burdi
gert und ein logel mit wasser und ein schindmesser darob.
Das ist ein Fall der Scheinfütterung des gepfändetem Viehs im
Hungerpferch. Wenn ein Schindmesser dazugesteckt wird, so heißt
das: Falls der Eigentümer auch weiterhin das Tier nicht auslöst,
soll es eben verrecken und dem Abdecker verfallen. Wer ein um-
gestandenes Vieh noch zu verwerten sucht, dem steckt der Schin-
der den ,,Schnetz“, wie sein Messer in der schweizerischen Mundart
auch heißt3, an die Oberschwelle der Stalltüre. Damit wird kund-
getan: in diesem Stalle wurde in das Schinderhandwerk hinein-
gepfuscht, es geht hier nicht ganz ehrlich zu. Dergleichen be-
fürchten auch die Witzenburger im Laiebuch4, als sie sich über-
legen, wie sie eine Gans, die in den Brunnen gefallen war, heraus-
ziehen könnten. Auf den Vorschlag, einen Strick mit einer Schlinge
hinunter zu lassen und die Gans damit heraufzuziehen, meint einer
warnend:
es möchte die ganß an dem strick sterben, so hienge man uns
alsdann unser jedem ein henckermesser vor die tür, so hetten wir
alsdann die ganß nicht, dann wir dörften sie nicht essen, und
hetten auch den schimpff darvon.
Auch wer ein umgekommenes Tier bloß verscharrte, war nicht
sicher vor dem gehässigen Messerstecken der Schinder und Henker,
1 Eberhardt, Mitteilungen über volkstümliche Überlieferungen in
Württemberg / Wiirtt. Jahrbücher f. Statistik und Landeskunde 1907, I 212.
2 Grimm, Weistümer V 62.
3 Schweizerisches Idiotikon IX 1393.
4 1597 Laiebuch, hrsg. K. v. Bahder, 1914, S. 195.
Eberhard Freiherr von Künssberg:
Es wird den Beteiligten selten bewußt gewesen sein, daß das
Tabu des Schindermessers oft seinen gesundheitspolizeilichen Grund
hatte. Zum Beispiel wenn es heißt1: War ein Stück Vieh gefallen,
so stieß der Kleemeister sein großes Messer in die Stubentür und
bis er vom Abdecken zurückkam, durfte niemand hinsehen, da dies
den Tod eines weiteren Stückes zur Folge gehabt hätte.
Das Dorfrecht zu Mumpf bei Säckingen2 vom Jahre 1535 ent-
hält folgende Bestimmung:
Wer ouch sach, das jeman ein schädlich vich in oder uf dem sinen
fund, der mag es heimtriben und das haben von einer vesper zuo
der anderen, wirt es dann darzwischen nit dadannen gelöst, so
soll man das dem vogl überantworten, der soll haben ein pferrich,
darin er sölich vich gehalten mag, der soll im für geben ein burdi
gert und ein logel mit wasser und ein schindmesser darob.
Das ist ein Fall der Scheinfütterung des gepfändetem Viehs im
Hungerpferch. Wenn ein Schindmesser dazugesteckt wird, so heißt
das: Falls der Eigentümer auch weiterhin das Tier nicht auslöst,
soll es eben verrecken und dem Abdecker verfallen. Wer ein um-
gestandenes Vieh noch zu verwerten sucht, dem steckt der Schin-
der den ,,Schnetz“, wie sein Messer in der schweizerischen Mundart
auch heißt3, an die Oberschwelle der Stalltüre. Damit wird kund-
getan: in diesem Stalle wurde in das Schinderhandwerk hinein-
gepfuscht, es geht hier nicht ganz ehrlich zu. Dergleichen be-
fürchten auch die Witzenburger im Laiebuch4, als sie sich über-
legen, wie sie eine Gans, die in den Brunnen gefallen war, heraus-
ziehen könnten. Auf den Vorschlag, einen Strick mit einer Schlinge
hinunter zu lassen und die Gans damit heraufzuziehen, meint einer
warnend:
es möchte die ganß an dem strick sterben, so hienge man uns
alsdann unser jedem ein henckermesser vor die tür, so hetten wir
alsdann die ganß nicht, dann wir dörften sie nicht essen, und
hetten auch den schimpff darvon.
Auch wer ein umgekommenes Tier bloß verscharrte, war nicht
sicher vor dem gehässigen Messerstecken der Schinder und Henker,
1 Eberhardt, Mitteilungen über volkstümliche Überlieferungen in
Württemberg / Wiirtt. Jahrbücher f. Statistik und Landeskunde 1907, I 212.
2 Grimm, Weistümer V 62.
3 Schweizerisches Idiotikon IX 1393.
4 1597 Laiebuch, hrsg. K. v. Bahder, 1914, S. 195.