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Ludwig Baur Cusanus-Texte: III. Marginalien
Dionysius folge, die ,,termini sanctorum“ nicht überschreite
(Apologia 31, 23 ff.), wie ja auch des Cusanus eigene Philosophie
wesentlich um den Gottesbegriff und die Gotteserkenntnis kreist.
Die Erkenntnis Gottes, der höchsten und absoluten Ursache aller
Dinge, ist ihm die wesentliche Voraussetzung und unerläßliche Be-
dingung für eine abschließende Erkenntnis des Wirklichen über-
haupt. Ohne Gotteserkenntnis ist auch keine abschließende Er-
kenntnis der Wirklichkeit möglich. Vgl. De mente c. 10 (91, 18 ff.):
,,Unde necesse erit, ut ad scientiam unius praecedat scientia totius
et partium eius. Quare Deus, qui est exemplar universitatis, si
ignoratur, nihil de universitate, et si Universitas ignoratur, nihil
de eius partibus sciri posse manifestum. Ita scientiam cuiuslibet
praecedit scientia Dei et omnium.“ Vgl. De non aliud c. 3, (153,
38 ff.). So gewinnt die Gotteserkenntnis eine durchaus zentrale
Bedeutung in seinem Gedankensystem und zw. ebensosehr für seine
theoretische Weltanschauung, wie für die praktische Lebensfüh-
rung. „Wenn wir Gott haben, so haben wir alles, wenn wir ihn wis-
sen, so wissen wir alles, weil er die Wahrheit aller Dinge ist.“ (De
ven. sap. [1463] c. 12 I, 205). Seine Wesenheit ist das adaequate
und präzise Maß aller Wesenheiten.“ (Ebd. c. 16).
Beweise für das Dasein Gottes, wie sie die Hochscho-
lastik aufgestellt hatte, hält Nicolaus weder für notwendig, noch
auch in dem streng logischen Sinn einer zwingenden Beweisführung
für möglich. Das Dasein und Wesen Gottes ist nicht eigentlich
Gegenstand des logisch beweisbaren Wissens, sondern des Glau-
bens: „incomprehensibilis intellectu sola fide attingitur“. Sermo
LXXXXVI) V2 f. 31va; p. II, 78’. Die ratio, in der das Gontra-
dictionsprinzip und die syllogistische Beweisführung auf Grund
desselben herrscht, erscheint ihm ganz allgemein als unzureichend,
um zur Erkenntnis Gottes zu kommen1. Diese gehört vielmehr dem
Bezirk des Intellectus videns, der schauenden Vernunft zu, in der
alle Gegensätze aufgehoben sind. Mit Hilfe des Coincidenzbegriffs
erhebt sich der Intellekt in der Docta ignorantia durch eine Art
Theophanie zur Annäherung an die unendliche göttliche Einheit, die
unendliches Leben, Wahrheit und Buhe des Geistes ist und die
höchste Vollendung des Verstandes in seiner Erhebung in die Sphäre
der Vernunft. (Lenz 31).
1 Gleichwohl verteidigt Übixger den Satz, daß Nicolaus auch Beweise
für das Dasein Gottes verwende, die auch der Scholastik bekannt sind. Übin-
ger Gotteslehre 24f. — Dagegen J. Lenz, Die docta ignorantia oder die mysti-
sche Gotteserkenntnis des Nicolaus Cusanus. Würzburg 1923, S. 17.
Ludwig Baur Cusanus-Texte: III. Marginalien
Dionysius folge, die ,,termini sanctorum“ nicht überschreite
(Apologia 31, 23 ff.), wie ja auch des Cusanus eigene Philosophie
wesentlich um den Gottesbegriff und die Gotteserkenntnis kreist.
Die Erkenntnis Gottes, der höchsten und absoluten Ursache aller
Dinge, ist ihm die wesentliche Voraussetzung und unerläßliche Be-
dingung für eine abschließende Erkenntnis des Wirklichen über-
haupt. Ohne Gotteserkenntnis ist auch keine abschließende Er-
kenntnis der Wirklichkeit möglich. Vgl. De mente c. 10 (91, 18 ff.):
,,Unde necesse erit, ut ad scientiam unius praecedat scientia totius
et partium eius. Quare Deus, qui est exemplar universitatis, si
ignoratur, nihil de universitate, et si Universitas ignoratur, nihil
de eius partibus sciri posse manifestum. Ita scientiam cuiuslibet
praecedit scientia Dei et omnium.“ Vgl. De non aliud c. 3, (153,
38 ff.). So gewinnt die Gotteserkenntnis eine durchaus zentrale
Bedeutung in seinem Gedankensystem und zw. ebensosehr für seine
theoretische Weltanschauung, wie für die praktische Lebensfüh-
rung. „Wenn wir Gott haben, so haben wir alles, wenn wir ihn wis-
sen, so wissen wir alles, weil er die Wahrheit aller Dinge ist.“ (De
ven. sap. [1463] c. 12 I, 205). Seine Wesenheit ist das adaequate
und präzise Maß aller Wesenheiten.“ (Ebd. c. 16).
Beweise für das Dasein Gottes, wie sie die Hochscho-
lastik aufgestellt hatte, hält Nicolaus weder für notwendig, noch
auch in dem streng logischen Sinn einer zwingenden Beweisführung
für möglich. Das Dasein und Wesen Gottes ist nicht eigentlich
Gegenstand des logisch beweisbaren Wissens, sondern des Glau-
bens: „incomprehensibilis intellectu sola fide attingitur“. Sermo
LXXXXVI) V2 f. 31va; p. II, 78’. Die ratio, in der das Gontra-
dictionsprinzip und die syllogistische Beweisführung auf Grund
desselben herrscht, erscheint ihm ganz allgemein als unzureichend,
um zur Erkenntnis Gottes zu kommen1. Diese gehört vielmehr dem
Bezirk des Intellectus videns, der schauenden Vernunft zu, in der
alle Gegensätze aufgehoben sind. Mit Hilfe des Coincidenzbegriffs
erhebt sich der Intellekt in der Docta ignorantia durch eine Art
Theophanie zur Annäherung an die unendliche göttliche Einheit, die
unendliches Leben, Wahrheit und Buhe des Geistes ist und die
höchste Vollendung des Verstandes in seiner Erhebung in die Sphäre
der Vernunft. (Lenz 31).
1 Gleichwohl verteidigt Übixger den Satz, daß Nicolaus auch Beweise
für das Dasein Gottes verwende, die auch der Scholastik bekannt sind. Übin-
ger Gotteslehre 24f. — Dagegen J. Lenz, Die docta ignorantia oder die mysti-
sche Gotteserkenntnis des Nicolaus Cusanus. Würzburg 1923, S. 17.