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Ludwig Baur Cusanus-Texte: III. Marginalien
der Begriff der Goincidentia oppositorum, aber er führe diese wei-
ter und hebe noch besonders hervor, daß das „non aliud“ ante
omnem positionem et negationem sei. Es ist noch vor dem unum,
vor dem ens und vor dem verum, also vor den Transzendentalien.
Daher gibt er diesem Begriff den Vorzug vor dem Einheitsbegriff:
„Non aliud est simplicius uno, cum ab ipso non aliud habeat
quod sit unum et non e converso.“ Daraus ergibt sich, warum das
Nichtanderes den Begriff Gottes darzustellen vermag: das „Non
aliud“ definiert sich selbst und alle anderen Begriffe; ferner das
„Non aliud“ erscheint in dem Anderen wie der Sonnenglanz im
Begenbogen (c. 1); das „non aliud“ schafft das Andere; das „Non
aliud“ ist forma formarum. Daher ist das „Non aliud“ wertvoller,
als jeder andere Gottesname. Kein anderer Name reicht so nahe an
Gott heran, wie dieser: auch nicht der Begriff des Einen „Etenim
vero quidam theologi „unum“ pro „non aliud“ accipientes ipsum
unum ante contradictionem perspexerunt, quemadmodum in Pla-
tonis Parmenide legitur atque in Areopagita Dionysio: tarnen,
cum unum sit aliud a non uno, nequaquam dirigit in primum
ornnium principium, quod sive ab alio sive a nihilo aliud esse non
potest, quod item n'ulli est contrarium. . . “ (De non aliud c·. 4
S. 155, 38ff.).
Gott als das „Possest“, das wirkliche Können, wie Übin-
ger den seltsam gebildeten t rminus übersetzt, oder das Können
in Wirklichkeit (posse in actu), wie Giordano Bruno ihn wieder-
gibt, bedeutet die absolute Möglichkeit eins mit der absoluten Wirk-
lichkeit oder die Identität von Möglichkeit und Wirklichkeit in
Gott, wie sie ja auch die Scholastik deutlich gelehrt hatte. Gott
ist das absolute Können, die absolute Wirklichkeit und deren Ver-
bindung. Als das „Possest“ ist Gott vor jedem Unterschied (De
ven. sap. c. 13). Dieser Name führt zur mystischen Schau, in der
der Nebel verschwindet und die allmächtige Sonne den Geist
erleuchtet (Possest I, 176r). Er ermöglicht positive Aussagen über
Gott. Denn er bringt zum Ausdruck, daß alle möglichen Geschöpfe
aktuell in der Macht des Schöpfers sind, daß also dieser die forma
formarum ist. Er muß alles sein, was da sein kann, so daß er im
wahrsten Sinne des Wortes die formale oder urbildliche Ursache
von allem ist.
Selbst für diesen Begriff sucht Nicolaus Ps. Dionysius als
Zeugen vorzuführen, wenn er De ven. sap. c. 37 (I, 216v) sagt:
„Linde posse fieri non determinatur simpliciter, nisi in „Possest“
Ludwig Baur Cusanus-Texte: III. Marginalien
der Begriff der Goincidentia oppositorum, aber er führe diese wei-
ter und hebe noch besonders hervor, daß das „non aliud“ ante
omnem positionem et negationem sei. Es ist noch vor dem unum,
vor dem ens und vor dem verum, also vor den Transzendentalien.
Daher gibt er diesem Begriff den Vorzug vor dem Einheitsbegriff:
„Non aliud est simplicius uno, cum ab ipso non aliud habeat
quod sit unum et non e converso.“ Daraus ergibt sich, warum das
Nichtanderes den Begriff Gottes darzustellen vermag: das „Non
aliud“ definiert sich selbst und alle anderen Begriffe; ferner das
„Non aliud“ erscheint in dem Anderen wie der Sonnenglanz im
Begenbogen (c. 1); das „non aliud“ schafft das Andere; das „Non
aliud“ ist forma formarum. Daher ist das „Non aliud“ wertvoller,
als jeder andere Gottesname. Kein anderer Name reicht so nahe an
Gott heran, wie dieser: auch nicht der Begriff des Einen „Etenim
vero quidam theologi „unum“ pro „non aliud“ accipientes ipsum
unum ante contradictionem perspexerunt, quemadmodum in Pla-
tonis Parmenide legitur atque in Areopagita Dionysio: tarnen,
cum unum sit aliud a non uno, nequaquam dirigit in primum
ornnium principium, quod sive ab alio sive a nihilo aliud esse non
potest, quod item n'ulli est contrarium. . . “ (De non aliud c·. 4
S. 155, 38ff.).
Gott als das „Possest“, das wirkliche Können, wie Übin-
ger den seltsam gebildeten t rminus übersetzt, oder das Können
in Wirklichkeit (posse in actu), wie Giordano Bruno ihn wieder-
gibt, bedeutet die absolute Möglichkeit eins mit der absoluten Wirk-
lichkeit oder die Identität von Möglichkeit und Wirklichkeit in
Gott, wie sie ja auch die Scholastik deutlich gelehrt hatte. Gott
ist das absolute Können, die absolute Wirklichkeit und deren Ver-
bindung. Als das „Possest“ ist Gott vor jedem Unterschied (De
ven. sap. c. 13). Dieser Name führt zur mystischen Schau, in der
der Nebel verschwindet und die allmächtige Sonne den Geist
erleuchtet (Possest I, 176r). Er ermöglicht positive Aussagen über
Gott. Denn er bringt zum Ausdruck, daß alle möglichen Geschöpfe
aktuell in der Macht des Schöpfers sind, daß also dieser die forma
formarum ist. Er muß alles sein, was da sein kann, so daß er im
wahrsten Sinne des Wortes die formale oder urbildliche Ursache
von allem ist.
Selbst für diesen Begriff sucht Nicolaus Ps. Dionysius als
Zeugen vorzuführen, wenn er De ven. sap. c. 37 (I, 216v) sagt:
„Linde posse fieri non determinatur simpliciter, nisi in „Possest“