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Josef Koch, Gusanus-Texte: I. Predigten, 7.
tia“, dann das Jahrzehnt von 1439 bis 1449, drittens die Legations-
reise und endlich die Brixener Zeit (1452—1458), wozu noch die
vier römischen Predigten aus dem Jahr 1459 kommen.
1. Die Predigten vor 1439. Es bedarf zunächst keines Be-
weises, daß die Bücher, die Gusanus während seiner Ausbildungs-
zeit studiert hat, auch später einflußreich blieben. Dazu rechne
ich in der Philosophie Kompendien1, nach denen er sich Aristo-
teles’ Lehre angeeignet hat, mögen sie uns im einzelnen auch un-
bekannt sein. Aber die Art und Weise, wie Gusanus auch noch
in den fünfziger Jahren aristotelische Sätze aus dem Gedächtnis
zitiert, zeigt, daß er früh mit dessen Lehre vertraut gemacht wor-
den ist. Das gebräuchliche theologische Lehrbuch war auch da-
mals noch die Libri IV sententiarum des PetrusLombardus2; dazu
hat er wohl früh die Summa theologiae des Thomas von Aquin
kennen gelernt3, wie die Zitate in den ersten Predigten zeigen. Als
„Biblische Geschichte“ wurde die Historia scholastica oder eccle-
siastica des Petrus Comestor4 benutzt, die bevorzugte Heiligen-
legende war die Legenda aurea oder Historia Lombardica des
Jacobus de Voragine. Diese Bücher gehörten also zum selbst-
verständlichen Handwerkszeug des Predigers. Kein Wunder, daß
sie uns auch bei Gusanus begegnen.
Er hat nun nicht nur eine philosophische und theologische,
sondern vor allem eine juristische und kanonistische Ausbil-
dung erhalten. Für die Predigten der Frühzeit sind die Zitate aus
dem Decretum Gratiani, den Decretalen, den Kommentatoren des
kanonischen Hechts (z. B. Hostiensis = Heinrich von Segusia,
Pr. 8), ja selbst aus dem römischen Recht (Pr. 7 und 8) charakte-
ristisch. Wir sind hier sozusagen in derselben geistigen Welt, aus
der ,,De concordantia catholica“ hervorgegangen ist. Nach 1439
1 M. Grabmann gibt von dieser Art Literatur ein sehr anschauliches
Bild in: Methoden und Hilfsmittel des Aristotelesstudiums im Mittelalter,
Sitzungsberichte der Bayer. Akad. d. Wiss., Philos.-histor. Abt. 1939 II. 5.
2 Vgl. dazu Pred. 2/5, S. 176f.; Pred. 6, S. 47 Anm. 17—21 usw.
3 So auch Vansteenberghe in den beiden weiter unten zitierten Ar-
tikeln.
4 Gusanus benutzte dieses Handbuch auch später immer wieder; vgl.
z. B. seinen Brief an Bernhard von Waging vom 28. Juli 1455 (Vansteen-
berghe, Autour de la docte ignorance, S. 159 n. 34): „dubium vestrum ulti-
mum solvitur per magistrum in hystoria scolastica etc.“ Vansteenberghe
mißverstand den Satz und notierte in seinem Regest: ,,Un maitre en histoire
scolastique resoudra une difficulte posee par Bernard“!
Josef Koch, Gusanus-Texte: I. Predigten, 7.
tia“, dann das Jahrzehnt von 1439 bis 1449, drittens die Legations-
reise und endlich die Brixener Zeit (1452—1458), wozu noch die
vier römischen Predigten aus dem Jahr 1459 kommen.
1. Die Predigten vor 1439. Es bedarf zunächst keines Be-
weises, daß die Bücher, die Gusanus während seiner Ausbildungs-
zeit studiert hat, auch später einflußreich blieben. Dazu rechne
ich in der Philosophie Kompendien1, nach denen er sich Aristo-
teles’ Lehre angeeignet hat, mögen sie uns im einzelnen auch un-
bekannt sein. Aber die Art und Weise, wie Gusanus auch noch
in den fünfziger Jahren aristotelische Sätze aus dem Gedächtnis
zitiert, zeigt, daß er früh mit dessen Lehre vertraut gemacht wor-
den ist. Das gebräuchliche theologische Lehrbuch war auch da-
mals noch die Libri IV sententiarum des PetrusLombardus2; dazu
hat er wohl früh die Summa theologiae des Thomas von Aquin
kennen gelernt3, wie die Zitate in den ersten Predigten zeigen. Als
„Biblische Geschichte“ wurde die Historia scholastica oder eccle-
siastica des Petrus Comestor4 benutzt, die bevorzugte Heiligen-
legende war die Legenda aurea oder Historia Lombardica des
Jacobus de Voragine. Diese Bücher gehörten also zum selbst-
verständlichen Handwerkszeug des Predigers. Kein Wunder, daß
sie uns auch bei Gusanus begegnen.
Er hat nun nicht nur eine philosophische und theologische,
sondern vor allem eine juristische und kanonistische Ausbil-
dung erhalten. Für die Predigten der Frühzeit sind die Zitate aus
dem Decretum Gratiani, den Decretalen, den Kommentatoren des
kanonischen Hechts (z. B. Hostiensis = Heinrich von Segusia,
Pr. 8), ja selbst aus dem römischen Recht (Pr. 7 und 8) charakte-
ristisch. Wir sind hier sozusagen in derselben geistigen Welt, aus
der ,,De concordantia catholica“ hervorgegangen ist. Nach 1439
1 M. Grabmann gibt von dieser Art Literatur ein sehr anschauliches
Bild in: Methoden und Hilfsmittel des Aristotelesstudiums im Mittelalter,
Sitzungsberichte der Bayer. Akad. d. Wiss., Philos.-histor. Abt. 1939 II. 5.
2 Vgl. dazu Pred. 2/5, S. 176f.; Pred. 6, S. 47 Anm. 17—21 usw.
3 So auch Vansteenberghe in den beiden weiter unten zitierten Ar-
tikeln.
4 Gusanus benutzte dieses Handbuch auch später immer wieder; vgl.
z. B. seinen Brief an Bernhard von Waging vom 28. Juli 1455 (Vansteen-
berghe, Autour de la docte ignorance, S. 159 n. 34): „dubium vestrum ulti-
mum solvitur per magistrum in hystoria scolastica etc.“ Vansteenberghe
mißverstand den Satz und notierte in seinem Regest: ,,Un maitre en histoire
scolastique resoudra une difficulte posee par Bernard“!