Rom und die Christen im ersten Jahrhundert
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Aber aus dem zweiten Jahrhundert besitzen wir zwei Texte, die
zeigen, was man damals aus der Zinsgroschen-Erzählung herauslas.
In dem „Unbekannten Evangelium“ des Britischen Museums, einem
uns seit 1935 bekannten Text, findet sich auch die Geschichte vom
Zinsgroschen* 1. Aber hier ist nicht mehr von der fremden Besat-
zungsmacht und ihrer Steuerforderung die Bede. Die Frage ist
wesentlich verallgemeinert und lautet: „Ist es erlaubt, den Königen
(oder: Kaisern) zu geben, was der Obrigkeit gebührt ? Sollen wir
ihnen geben oder nicht ?2“ Von der Antwort Jesu ist nur eine ein-
leitende Anklage (übereinstimmend mit Mt. 15, 7. 8) erhalten; aber
da die Geschichte sonst dasselbe Gepräge wie die biblische Erzäh-
lung trägt, so ist wohl nicht zu bezweifeln, daß sie auch in dieser
Fassung mit dem Parallelspruch „Gebet dem Kaiser . . . und gebt
Gott“ geschlossen hat. Nur war es bei so allgemeiner Ausrichtung
der Frage unmöglich, die Antwort als Aufforderung zu interimisti-
scher Pflichterfüllung gegenüber dem Cäsar in Rom zu verstehen;
sie mußte vielmehr als Befehl zu vorbehaltloser Pflichterfüllung
gegenüber der Staatsmacht aufgefaßt werden.
Eine Bestätigung liefert die Verwendung derselben Erzählung
bei Justin, Apologie I 17. In seiner Wiedergabe lautet die Ant-
wort Jesu wie im Evangelium; die Frage aber heißt: „Ob man dem
Cäsar Steuern zahlen müsse“ (εί δει Κοάσοφι φόρους τελεΐν). Das
bedeutet nun allerdings eine erhebliche Änderung. Jesus hatte den
Fragenden den Akzent ihrer Frage völlig verschoben: Gebt dem
Kaiser das Seine, aber denkt vor allem, was ihr Gott schuldet!
Justin betont gerade umgekehrt: „Darum beten wir zwar Gott
allein an, euch aber“ — angeredet sind Antoninus Pius und seine
nirgends auf das Wort Jesu. Kittel a.a.O. vermag für die gegenteilige Be-
hauptung auch nur den Gebrauch des Wortes φόρος anzuführen und den Um-
stand, daß in der Umgebung von Rom. 13 mehrfach Worte Jesu anklingen.
Das ist natürlich kein Beweis. Paulus spricht Röm. 13 ohne jede Einschrän-
kung von dem Gehorsam gegen die Vorgesetzten Gewalten; das liegt, wie wir
sehen werden, völlig in der Linie einer älteren Tradition, die der Apostel über-
nimmt. Seine Worte verraten aber keine Kenntnis des zweiteiligen Wortes
Jesu, in dem neben die Staatspflicht ein anderes, höheres Gebot gestellt wird.
1 Fragments of an Unknown Gospel and other early Christian Papyri,
edited by II. Idris Bell and T. C. Skeat, London 1935. Die Inventar-Nummer
des Evangelientextes ist P. Egerton 2.
2 P. Egerton 2, Zeile 48 εξόν τοΐς βα(σι)λεϋσ[ιν άποδοΰ]ναι τά άν[ή]κοντα
~Τι άρχη; άπ[οδώμεν αύ]τοΐς ή μ[ή]; der Wortlaut mit der Doppelfrage erinnert
am meisten an Markus (12, 14: εξεστιν δούναι κήνσον Καίσαρι ή ου; δώμεν ή μή
δώμεν;). Um so mehr fällt die Änderung des Objekts auf.
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Aber aus dem zweiten Jahrhundert besitzen wir zwei Texte, die
zeigen, was man damals aus der Zinsgroschen-Erzählung herauslas.
In dem „Unbekannten Evangelium“ des Britischen Museums, einem
uns seit 1935 bekannten Text, findet sich auch die Geschichte vom
Zinsgroschen* 1. Aber hier ist nicht mehr von der fremden Besat-
zungsmacht und ihrer Steuerforderung die Bede. Die Frage ist
wesentlich verallgemeinert und lautet: „Ist es erlaubt, den Königen
(oder: Kaisern) zu geben, was der Obrigkeit gebührt ? Sollen wir
ihnen geben oder nicht ?2“ Von der Antwort Jesu ist nur eine ein-
leitende Anklage (übereinstimmend mit Mt. 15, 7. 8) erhalten; aber
da die Geschichte sonst dasselbe Gepräge wie die biblische Erzäh-
lung trägt, so ist wohl nicht zu bezweifeln, daß sie auch in dieser
Fassung mit dem Parallelspruch „Gebet dem Kaiser . . . und gebt
Gott“ geschlossen hat. Nur war es bei so allgemeiner Ausrichtung
der Frage unmöglich, die Antwort als Aufforderung zu interimisti-
scher Pflichterfüllung gegenüber dem Cäsar in Rom zu verstehen;
sie mußte vielmehr als Befehl zu vorbehaltloser Pflichterfüllung
gegenüber der Staatsmacht aufgefaßt werden.
Eine Bestätigung liefert die Verwendung derselben Erzählung
bei Justin, Apologie I 17. In seiner Wiedergabe lautet die Ant-
wort Jesu wie im Evangelium; die Frage aber heißt: „Ob man dem
Cäsar Steuern zahlen müsse“ (εί δει Κοάσοφι φόρους τελεΐν). Das
bedeutet nun allerdings eine erhebliche Änderung. Jesus hatte den
Fragenden den Akzent ihrer Frage völlig verschoben: Gebt dem
Kaiser das Seine, aber denkt vor allem, was ihr Gott schuldet!
Justin betont gerade umgekehrt: „Darum beten wir zwar Gott
allein an, euch aber“ — angeredet sind Antoninus Pius und seine
nirgends auf das Wort Jesu. Kittel a.a.O. vermag für die gegenteilige Be-
hauptung auch nur den Gebrauch des Wortes φόρος anzuführen und den Um-
stand, daß in der Umgebung von Rom. 13 mehrfach Worte Jesu anklingen.
Das ist natürlich kein Beweis. Paulus spricht Röm. 13 ohne jede Einschrän-
kung von dem Gehorsam gegen die Vorgesetzten Gewalten; das liegt, wie wir
sehen werden, völlig in der Linie einer älteren Tradition, die der Apostel über-
nimmt. Seine Worte verraten aber keine Kenntnis des zweiteiligen Wortes
Jesu, in dem neben die Staatspflicht ein anderes, höheres Gebot gestellt wird.
1 Fragments of an Unknown Gospel and other early Christian Papyri,
edited by II. Idris Bell and T. C. Skeat, London 1935. Die Inventar-Nummer
des Evangelientextes ist P. Egerton 2.
2 P. Egerton 2, Zeile 48 εξόν τοΐς βα(σι)λεϋσ[ιν άποδοΰ]ναι τά άν[ή]κοντα
~Τι άρχη; άπ[οδώμεν αύ]τοΐς ή μ[ή]; der Wortlaut mit der Doppelfrage erinnert
am meisten an Markus (12, 14: εξεστιν δούναι κήνσον Καίσαρι ή ου; δώμεν ή μή
δώμεν;). Um so mehr fällt die Änderung des Objekts auf.