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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 2. Abhandlung): Rom und die Christen im ersten Jahrhundert — Heidelberg, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.42027#0016
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Martin Dibelius:

Dazu gesellt sich ein dritter Eindruck: die Christen leiden und
sollen leiden als Christen (4, 16) und sollen sich schmähen lassen
,,im Namen Christi“ (4, 14). Es erhebt sich die Frage, ob das
bedeuten soll, daß die Christen einen Kriminalprozeß oder ein
polizeiliches Einschreiten (coercitio) von Staats wegen zu erwarten
haben oder nur den Widerstand der Volksmenge.
Die Antwort läßt sich nur abgrenzen, nicht im einzelnen fest-
legen. Ein wirklicher Zusammenstoß zwischen Christentum und
Staat steht dem Verf. in seiner Gegenwart nicht vor Augen. Die
Bedrängnis der Christen rührt im wesentlichen von den Verleum-
dungen her. Diese führen offenbar zu Anklagen vor den Gerichten
— sonst wäre der Gegensatz „nicht leiden als Verbrecher, aber
leiden als Christ“ (4, 15. 16) sinnlos. Hinrichtungen von Christen
gibt es im Gesichtskreis des Verf. anscheinend nicht; er kann
denen, die Verfolgung leiden, vielmehr empfehlen, nicht aufzuhören
mit dem Tun des Guten (4, 19). Wahrscheinlich weiß er von der
Christenverfolgung unter Nero; er läßt ja seinen „Petrus“ den
„Brief“ aus „Babylon“ schreiben (5, 13) — und das ist der apoka-
lyptische Geheimname für das christenfeindliche Born. Aber diese
Verfolgung scheint ihm kein Beispiel für die Gegenwart zu sein.
Die Stelle, die am ehesten etwas von einer allgemeinen Bedrohung
der Christen durch den Staat andeuten könnte, steht 5, 8: „Euer
Widersacher, der Teufel, geht umher wie ein brüllender Löwe und
sucht, wen er verschlinge“. Aber die mythische Einkleidung macht
die Deutung unsicher: der Teufel kann ebensowohl den Haß der
Welt bewirken wie eine staatliche Verfolgung in Szene setzen; und
da von dieser sonst nicht die Rede ist, wird man die Worte auf
die allgemeine Feindschaft gegen die Christen beziehen dürfen.
Dazu berechtigt uns noch eine andere Erwägung. In seinem
2. Kapitel enthält der I. Petrusbrief eine Pflichtenlehre für ver-
schiedene Glieder der Familie, eine sogenannte „Haustafel“. Zu-
grunde liegt dieser wie anderen Haustafeln des Neuen Testaments
άλλοτριεπίσκοπος ist das Wort durch die Wiederholung des ώς von den Bezeich-
nungen der Verbrecher abgesetzt; es muß also einer anderen Sphäre angehören,
muß aber doch eine Verhaftung rechtfertigen. Der Etymologie nach kann
das Wort sowohl den Fremdes Begehrenden bezeichnen wie den ungetreuen
Wächter wie endlich den sich in fremde Verhältnisse Einmischenden (Beyer
im Theol. Wörterbuch II 617ff.); mir scheint die letzte Bedeutung in Frage
zu kommen, aber politisch abgewandelt: „der sich einmengt in Fremdes“ ist
der politische Störenfried. Dann sind auch die eben genannten Voraussetzun-
gen für das \rerständnis des Wortes erfüllt.
 
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