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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 2. Abhandlung): Rom und die Christen im ersten Jahrhundert — Heidelberg, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.42027#0024
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Martin Dibeliijs:

stattfindet und in der man auch den herrlichen Ehrenpreis emp-
fängt. Und diese Frauen heißen Danaiden und Dirken! Aus diesen
Ausdrücken glaubt man gewöhnlich die theatralische Art der Be-
strafung erschließen zu können: die Märtyrerinnen hätten die be-
treffende mythische Szene aufführen müssen und wären dabei zu
Opfern geworden. Man kann sich das freilich recht wohl bei Dirke
auf dem Stier denken, nicht aber bei den beständig Wasser schöp-
fenden Danaiden. Wenn das Ganze aber eine moralphilosophische
und nicht eine historische Betrachtung ist, so wird diese Anspie-
lung auf mythische Szenen auch entsprechend erklärt werden müs-
sen; die christlichen Märtyrerinnen werden nach den mythischen
Heldinnen benannt, nicht um die Art ihrer Bestrafung, sondern
um die Größe ihrer Leiden darzustellen: sie sind wahre Danaiden
und Dirken1! Der Irrtum der bisherigen Erklärung bestand eben
durchgehends darin, daß man geschichtliche Nachrichten da suchte,
wo der Verfasser vor allem eine moralphilosophische Betrachtung
der als bekannt vorausgesetzten geschichtlichen Vorgänge an-
strebte.
Warum er dies tat, ist aus den bisher vorgetragenen Beobach-
tungen leicht zu erschließen. Die römische Gemeinde, von neuen
Verfolgungen betroffen, die das Gedächtnis der alten wieder auf-
leben lassen, sieht sich durch die Ereignisse in eine dem Staat feind-
liche Stellung hineingedrängt. Ihr Sprecher, der Verfasser des
I. Klemensbriefes, will dies vermeiden. Er will der Folgerung aus-
weichen, die man aus dem Nacheinander zweier Verfolgungen im
Verlauf etwa eines Menschenalters ziehen könnte: daß das Christen-
tum seiner Art nach zur Feindschaft gegen Rom bestimmt sei. Er
will die christliche Loyalität erhalten, will mit freiem Herzen und
gutem Gewissen das Gebet für die kaiserliche Herrschaft sprechen
können, das er im Rahmen des „Kirchengebets“ der römischen
Gemeinde in sein Schreiben aufnimmt (1. Klein. 61, 1. 2). Er will
das alles erhalten und bewahren. Einmal folgt er damit der christ-
lichen Loyalitätstradition seit Paulus, deren Befolgung freilich in-
folge der Ereignisse wesentlich schwieriger geworden war. Zwei-
1 Vgl. L. van Liempt in „Handelingen van het veertiende Nederland-
sche Philologen-Congres te Amsterdam“ 1931, S. 37—40. Ich danke Karl
Hei ssi in Jena den Hinweis auf diese mir unerreichbare Abhandlung. -
Wie sprichwörtlich die Unterweltsstrafen waren, sieht man auch aus Philo De
cherub. 78: wer fälschlich meint, daß Leiden ihm fremd sei. Σισύφειον
τιμωριάν άναδέξεται. Die Strafe der Dirke besaß wohl ähnliche Volkstümlich-
keit wie die Unterweltsstrafe der Danaiden.
 
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