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Dibelius, Martin; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 2. Abhandlung): Rom und die Christen im ersten Jahrhundert — Heidelberg, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.42027#0042
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Martin Dibelius:

Und Marc Aurel weiß davon. Aber er hat ungefähr die gleichen
Einwendungen wie Epiktet dagegen vorzubringen. Er fragt, wann
die Seele wahrhaft bereit sei, sich vom Leibe zu trennen. Und er
antwortet, daß diese Bereitschaft aus dem eigenen Urteil hervor-
gehen müsse, nicht aus bloßem Trotz wie bei den Christen, und daß
man sich dabei mit Würde und Überlegung verhalten müsse, ohne
Pathos und so, daß es auch auf andere Eindruck mache1.
Der Grund der Verurteilung der Christen ist bei beiden Stoi-
kern der gleiche. Die Christen wissen zu sterben, aber sie sterben
nicht auf Grund eigenen Urteils — so Marc Aurel -—, nicht aus
Vernunftgründen — so Epiktet. Sie sterben gehorsam der Disziplin
ihrer Sekte — das ist ungefähr die Meinung Epiktets. Wenn Marc
Aurel statt dessen einfach vom Trotz spricht, so beweist das nicht
gerade Verständnis für das eigentliche Motiv der Christen, vielleicht
aber um so mehr Erfahrung mit Christenprozessen, in deren Ver-
lauf die Christen der Aufforderung zu opfern regelmäßig ihre kate-
gorische Weigerung entgegensetzten.
Dieser Trotz mußte dem Stoiker umso empfindlicher sein, als
er mit einem Verhalten gepaart war, das der Philosoph als vorbild-
lich anerkennen mußte. Die Kunst recht zu sterben war ein be-
liebtes Thema der stoischen Predigt. Und schon Seneca hatte ge-
lehrt und mit seinem eigenen Ende bewährt, daß man heiteren
Mutes fortgehen müsse, wenn die unvermeidliche Stunde schlage2.
Die Gleichgültigkeit gegenüber den Gütern dieser Welt, die man
behandelt wie eine Schüssel beim Gastmahl — bescheiden nehmend
oder, falls sie vorübergeht, ganz verzichtend3 —, die ganze philo-
sophische Weltüberlegenheit bildete die Voraussetzung für solches
Sterben. Und nun taten diese ungebildeten, unphilosophischen oder
der Philosophie entlaufenen Christen es im Sterben den Philosophen

1 Marcus Antoninus, ln semet ipsum XI 3, 2 τό δέ έτοιμον τοΰτο, ΐνα άπο
ίδικής κρίσεως έρχηται, μή κατά ψιλήν παράταξιν, ώς οί Χριστιανοί, αλλά λελογισ-
μένους καί σεμνώς καί ώστε καί άλλον -είσαι, άτραγώδως. — Für παράταξις hat
mir Otto Regenbogen den besten Beleg nachgewiesen (der bei Liddell and
Scott fehlt, sich aber bei Passow findet): Aelius Aristides, ιερός λόγος V 9
II 454 Keil, erwägt es, die Reise trotz des schlechten Wetters fortzusetzen,
αμα μεν ο Ιον άπονοία τινί καί παρατάξει —- ού γάρ ήν άναφυγή — άμα δ’ώς άντεΐχον
παρά παν τό είκός. Er handelt also aus Verzweiflung und „Trotz“. — Vgl. zu
Marc Aurel noch Viktor ’Stegemann, Christentum und Stoizismus im Kampf
um die geistigen Lebenswerte im 2. Jahrhundert nach Christus in „Die Welt
als Geschichte“ 1941, 295 ff.
2 Seneca Ep. 48. 304. 8. 12. 18. 612. 7017.

3 Epiktet Encheirid. 15.
 
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