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Hölscher, Gustav; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 3. Abhandlung): Die Anfänge der hebräischen Geschichtsschreibung — Heidelberg, 1942

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https://doi.org/10.11588/diglit.42028#0061
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Stoff und Gestaltung’

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Anderen Ursprungs als der Stoff der Sage ist der der Geschichte;
er ist seinem Kern nach Erinnerung an Geschehenes. Zu allen
Zeiten hat man sich von dem, was die Menschen bewegte, erzählt,
von Kriegen und Kämpfen, von Taten der Helden, klugen Maß-
nahmen der Herrscher und Weisen, außergewöhnlichen Ereignissen,
und wo sie allgemeineres Interesse fanden, sind solche Geschichten
weitererzählt und verbreitet worden. Auch hier dient die Erzäh-
lung von Haus aus nur der Unterhaltung und Ergötzung; Bewah-
rung historischer Kunde liegt naturwüchsigen Völkern fern. Der
wirkliche historische Hergang vergangener Dinge ist gleichgültig;
deshalb gestaltet die Phantasie sie unwillkürlich um, verknüpft sie
mit allerlei Elementen des Märchens und des mythischen Denkens,
mit Göttern, Heroen und den Ahnen der Stämme, und verbindet
sie durch ätiologische Motive mit der Gegenwart und der eigenen
Umwelt. So schwindet eine wirkliche Kunde der Vergangenheit
schnell aus dem Gedächtnis, und es sind in der Regel nur dürftige
Bruchstücke von einzelnen Tatsachen, zumeist nur Namen, die
sich erhalten; der eigentliche Hergang wird vergessen oder vom
Schleier der Dichtung verdeckt, die sich oft an ziemlich unbedeu-
tende Vorgänge anschließt und sie zu historisch entscheidenden
Begebenheiten steigert.
Im ganzen überdauert die Erinnerung der Menschen nicht mehr
als zwei bis drei Generationen. Erst durch liedmäßige Formung
erhält sie festere Stütze1, während mündlich überlieferte Prosa-
erzählung immer der willkürlichen und unwillkürlichen Umformung
ausgesetzt bleibt.
Das, woran das geschichtliche Interesse zuerst haftet, ist das
Außergewöhnliche, Persönliche, Individuelle. Diese noch unlite-
rarische Überlieferung kleidet sich in die Form von Anekdoten und
Novellen von berühmten Personen der Vergangenheit, Geschichten,
die irgendeine Merkwürdigkeit erzählen und gern eine überraschende
Pointe bringen. Im Unterschied von der Sage fehlt ihnen das My-
thische und Märchenhafte; ihre Bedingungen sind die der wirk-

1 Lieder dieser Art und Sammlungen derselben besaß auch das alte
Israel. Die uns erhaltenen Lieder stammen, wie es scheint, alle aus dem
Werke des E. Das größte und schönste Beispiel ist das sog. Deboralied Jud 5.
Aus einem „Buch der Kriege Jahves“ Num 2114 stammt das Bruchstück
Num 2114_15 und wohl auch 2117_18 27_30; aus einem „Buch des Rechtschaf-
fenen“ (richtiger vielleicht „Buch der Lieder“) die Stücke Jos 1012_13 2. Sam
^19—27 t. Reg 812_13 LXX.
 
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