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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 5. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung: vorgelegt am 14.11.1942 — Heidelberg, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42030#0003
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Alles praktisch-juristische Interesse konzentriert sich letztlich
auf die Gewinnung konkreter rechtlicher Sollensurteile1. Sind wir
ja mit unserem Tun und Lassen zu jeder Zeit in irgendeine konkrete
Situation hineingestellt, die die Entscheidung herausfordert, wie
wir uns in ihr zu verhalten haben. In erster Linie sind wir selbst es,
die diese Entscheidung fällen. So werden wir selbst uns für diesen
oder jenen Zeitpunkt einer privatrechtlichen oder öffentlichrecht-
lichen Verpflichtung urteilend bewußt. Wir sind uns klar darüber,
daß wir jetzt oder spätestens bis zu einem bestimmten Termin eine
vertraglich übernommene Schuld zu begleichen oder eine Steuer zu
entrichten haben, oder wir vergegenwärtigen uns, daß wir dieses
oder jenes nicht tun dürfen, vermeiden müssen, abzuwenden haben
usw. Aber auch andere Menschen sehen sich veranlaßt oder sind
sogar dazu berufen, über das zu urteilen, was wir tun sollen: mein
Anwalt, mein Gläubiger, dessen Anwalt, ein Verwaltungsbeamter,
ein Richter, ein Gutachter sind vorzugsweise solche Personen, die
in die Verlegenheit kommen können, über das urteilen zu müssen,
was ich hic et nunc zu tun oder zu unterlassen habe bzw. zu tun
oder zu lassen hatte. Doch können sich auch unbeteiligte Dritte
bemüßigt fühlen, darüber nachzudenken, wie ich mich in einer be-
stimmten Lage zu betragen habe oder hätte betragen sollen. Den-
ken wir aber an den Richter als den Prototyp des Urteilers, so voll-
zieht er in erster Linie konkrete Sollensurteile bei der Fällung von
Leistnngsurteilen im Zivilprozeß oder bei Verurteilungen im Straf-
prozeß. Aber bei nicht zu enger Auffasssung des Begriffs „konkre-
tes Sollensurteil“ steckt ein solches auch im Feststellungs- und im
Gestaltungsurteil (die ja stets — zum mindesten mittelbar — der
Konkretisierung irgendwelcher Pflichten dienen) und ist weiter
auch das klageabweisende und freisprechende Urteil ein konkretes
Sollensurteil, nämlich ein negatives: ,,X soll nicht zahlen“, ,,X
ist nicht schuldig und daher nicht zu bestrafen“ usw. Das negative
1 Vgl. zum folgenden namentlich Bierling, Jur. Prinzipienlehre IV,
1911, § 47, S. 3ff.; Sauer, Jur. Methodenlehre, 1940, S. 20/21.

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