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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 5. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung: vorgelegt am 14.11.1942 — Heidelberg, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42030#0038
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38

Karl Engisch:

so, daß zunächst einmal nur die Behauptung oder auch die „Annah-
me“ einer konkreten dem Gesetzestatbestand unterfallenden Bege-
benheit vorhegt (indem diese etwa durch eine Klage oder Anklage
der richterlichen Urteilsfindung unterbreitet ist), und daß zu der
Aufgabe, die Subsumierbarkeit unter bestimmte gesetzliche Ober-
sätze zu prüfen, regelmäßig die weitere Aufgabe hinzutritt, den
Sachverhalt — in seinen wesentlichen Zügen! — als „erwiesen“
festzustellen. Was bedeutet die „Wirklichkeit“ des Sachverhalts,
wie vollziehen sich Beweis und Feststellung und wie verhält sich des
Näheren diese Feststellung zur Subsumtion?
Daß wir diesen Fragen in einer juristisch logischen Untersu-
chung nachspüren, könnte insofern Verwunderung erregen, als die
Feststellung konkreter Lebenssachverhalte zwar eine Angelegen-
heit der juristischen Praxis, aber nicht eine solche der juristischen
Theorie zu sein scheint. Aber es ist immer wieder zu bedenken, daß
wir unser logisches Interesse nicht nur auf die abstrakten, sondern
auch auf die konkreten Sollensurteile, ja gerade auf sie richten und
die zureichende Begründung solcher konkreten Sollensurteile für
eine theoretische Aufgabe halten, weshalb die logische Analyse die-
ser Begründung in vollem Umfange in die juristisch logische Be-
trachtung einzubeziehen ist. Zur vollständigen Begründung des
konkreten juristischen Sollensurteiles aus dem Gesetz gehört auch
der Nachweis, daß wirklich eine konkrete Situation gegeben ist, wie
sie im Gesetz als Voraussetzung für die Bechtsfolge formuliert ist.
Ich gebe zu, daß sich die dogmatische Rechtswissenschaft in erster
Linie mit abstrakten Sollensurteilen befaßt und erst in zweiter Linie mit
konkreten. Im letzteren Falle pflegt sie dann auch weniger die tatsäch-
lichen Feststellungen ins Auge zu fassen als vielmehr die juristische Be-
urteilung des Falles ohne Rücksicht darauf, ob er sich genau so zuge-
tragen hat, wie angenommen. Aber es kommt doch auch vor, daß sich
die dogmatische Rechtswissenschaft um die einwandfreie Aufklärung der
rechtlich zu beurteilenden konkreten Situation selbst bemüht, z. B. bei
politisch wichtigen öffentlich-rechtlichen Vorgängen; und zwar nicht nur
im Rahmen rein rechtshistorischer Untersuchungen, sondern auch bei
Klärung der Rechtslage um der Rechtsfindung willen. Der Jurist als
Gutachter, vollends der wissenschaftlich geschulte und kognitiv dem
Falle zugewendete Praktiker: der Anwalt, der Richter usw., sind regel-
mäßig mit der tatsächlichen Seite der Angelegenheit befaßt und lösen
dabei eine Erkenntnisaufgabe so gut wie der Historiker, mag auch
das Ziel des juristischen Praktikers letztlich das praktischer Daseins-
gestaltung sein, während das des Historikers — zunächst wenigstens —
im Bereich der wissenschaftlichen Wahrheit um ihrer selbst willen ver-
bleibt (man will nur feststellen, „wie es eigentlich gewesen“). Nach alle-
 
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