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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 5. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung: vorgelegt am 14.11.1942 — Heidelberg, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42030#0039
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Logische Studien zur Gesetzesanwendung

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dem liegt Grund genug vor, die Methode der tatsächlichen Feststellung
in die logische Betrachtung einzubeziehen, um so mehr Grund, als schon
die Römer erkannten: „facti interpretatio etiam plerumque prudentissi-
mos fallit“.
Was heißt also logisch gesehen „tatsächliche Feststellung“
bzw. „Feststellung des wirklichen Sachverhalts“ ?
a) Was heißt zunächst „Wirklichkeit“, was „Tatsache“ ? Wie
verhalten sich diese Begriffe zueinander ? Sind sie überhaupt iden-
tisch ? Das letzte kann man bezweifeln, wenn man bedenkt, daß der
juristische Sprachgebrauch auch „nicht erweislich wahre Tatsachen“
oder gar „unwahre Tatsachen“, „falsche Tatsachen“ kennt (§§186,
187, 90a, 263 StGB.), aber keine unwahren Wirklichkeiten, wenn
man weiter bedenkt, daß man auch Negativa (Nichtanwesenheit am
Orte der Tat, Mangel an Ärzten, Nichternstlichkeit einer Erklärung,
fehlendes Einverständnis mit einer Handlung usw.) unbedenklich
als „Tatsachen“, dagegen nur zögernd als etwas Wirkliches anzu-
sprechen geneigt ist. Der Bereich des Tatsächlichen scheint weiter
zu sein als der des Wirklichen. Bedenken wir aber, daß die Rede-
weise von unwahren oder falschen Tatsachen offensichtlich auf einer
Verwechselung von Tatsachenbehauptung und Tatsache selbst be-
ruht1, somit unberücksichtigt bleiben darf, so decken sich die Be-
griffe „Tatsächlichkeit“ und „Wirklichkeit“ doch ziemlich, und so-
mit können wir den Unterschied, auch wenn wir ihn nicht in jeder
Beziehung bestreiten wollen, im Großen und Ganzen ignorieren und
die Begriffe „Tatsächlichkeit“ und „Wirklichkeit“ im allgemeinen
als Wechselbegriffe behandeln. Ebenso wollen wir keinen Unter-
schied machen zwischen „wirklich“ und „real“, wie dies z.B. Ivülpe2
und N. Hartmann3 tun. Ivülpe, indem er unter Wirklichkeit Be-
wußtseinswirklichkeit versteht und unter Realität bewußtseinsun-
abhängige Gegenständlichkeit, Hartmann, indem er die Wirklich-
keit der Möglichkeit und Notwendigkeit gegenüb er st eilt und die Rea-
lität als reale Möglichkeit, reale Wirklichkeit und reale Notwendig-
keit an allen diesen Modi teilnehmen läßt (den Gegensatz bilden
dann: Wesensmöglichkeit und Wesensnotwendigkeit). Mit Recht
bemerkt Becher4 gegen Külpe, daß der von ihm gemachte Unter-
1 S. z. B. Mezger, Deutsches Strafrecht, Ein Grundriß, 2. Aufl. 1941,
S. 241.
2 Die Realisierung 1,1912, S. lff.
3 Problem des geistigen Seins, 1933, S. 68 ff.; Grundlegung der Onto-
logie, 1935, S. 117, dazu unten S. 44.
4 Geisteswissenschaften und Naturwissenschaften, 1923, S. 21.
 
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