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Karl Engisch:
aus ihnen besteht, sie sind eine Klasse, wenn ich an den Umfang des
Begriffs1 „Franzose“ denke, wobei die Klasse nicht aus ihren Ele-
menten besteht, sondern die Elemente nur in dem Sinne zur Klasse
gehören, daß an jedem Element die Eigenschaft „Franzose zu sein“,
zu konstatieren ist. Klassen für Wirklichkeiten zu erachten, geht
aber doch wohl schwerlich an, wenn wir nicht geradezu in einen Be-
griffsrealismus zurückfallen wollen2, wenn auch Carnap darauf
hinweist, daß häufig im täglichen und selbst im wissenschaftlichen
Sprachgebrauch Klassen von Dingen „als wirklich aufgefaßt wer-
den, nämlich diejenigen, deren kennzeichnende Eigenschaft sinn-
lich wahrnehmbar ist oder sonstwie als leicht erkennbar und wich-
tig gilt“ (S. 242). Was den Klassen recht ist, sollte den Relationen
billig sein. Streng genommen sind Beziehungen keine Realitäten.
Aber weit mehr noch als bei Klassen sind wir bei Relationen ge-
neigt, sie wie Tatsachen zu behandeln3. Dem entspricht es ja auch,
wenn Naturgesetze als Wirklichkeiten genommen werden. Und es
entspricht ihm auch, wenn Gemeinschaftsbeziehungen zwischen den
Menschen: Freundschafts- und Liebesverhältnisse, Ehe, Verwandt-
schaft usw. als Realitäten behandelt werden4. Wie es scheint, be-
steht hier eine Verknüpfung des Problems der Realität von Rela-
tionen mit dem der Realität von Gemeinschaften. Nur wer eine Ge-
meinschaft für mehr und anderes erachtet als einen Inbegriff von
zwischenmenschlichen Beziehungen, wird hier widersprechen.
Selbst für Relationen zwischen Klassen hat Carnap gezeigt,
1 Logistisch: „die Extension einer Aussagefunktion mit einer Argument-
stelle“ (siehe z. B. Carnap, a. a.O., § 33).
2 In begriffsrealistischen Kreisen trifft man die Redeweise von der Rea-
lität von „Arten“ an, die inhaltslogisch gewissen Klassen korrespondieren. So
spricht Pfänder, Logik, S. 260f. (126f.) von dem Adler oder dem Schwefel
als „realiter existierenden Arten“, fügt allerdings hinzu: „Die Realität der
Art bedeutet nur, daß sie in einzelnen realen Gegenständen vorkommt, nicht
daß sie selbst unter den realen Gegenständen als ein besonderer Einzelgegen-
stand anzutreffen sei“. Charakteristisch auch S. 269 unten (S. 135 unten).
Scharf betont die Wirklichkeit nur des Individuellen: Linke, a.a.O., S. 126.
3 So auch Bolzano, Wissenschaftslehre I, § 80 Anm. 2.
4 Vgl. auch Frank, II, zu § 263 StGB.: „Unter den Begriff der Tat-
sache fallen auch die Identität einer Person, ihre verwandtschaftlichen Bezie-
hungen, ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse oder einem bestimmten
Stand“, ferner Schönke, Zivilprozeßrecht, 1938, S. 195: „Mehrere zu einem
Begriff zusammengefaßte Einzeltatsachen können dann Gegenstand des Be-
weises sein, wenn das Urteil, das infolgedessen von den Beteiligten abgegeben
ist, ganz einfach ist, so z. B. bei dem Begriff cLiebesverhältnis5 (RG. Gruchot
62, S. 392)“.
Karl Engisch:
aus ihnen besteht, sie sind eine Klasse, wenn ich an den Umfang des
Begriffs1 „Franzose“ denke, wobei die Klasse nicht aus ihren Ele-
menten besteht, sondern die Elemente nur in dem Sinne zur Klasse
gehören, daß an jedem Element die Eigenschaft „Franzose zu sein“,
zu konstatieren ist. Klassen für Wirklichkeiten zu erachten, geht
aber doch wohl schwerlich an, wenn wir nicht geradezu in einen Be-
griffsrealismus zurückfallen wollen2, wenn auch Carnap darauf
hinweist, daß häufig im täglichen und selbst im wissenschaftlichen
Sprachgebrauch Klassen von Dingen „als wirklich aufgefaßt wer-
den, nämlich diejenigen, deren kennzeichnende Eigenschaft sinn-
lich wahrnehmbar ist oder sonstwie als leicht erkennbar und wich-
tig gilt“ (S. 242). Was den Klassen recht ist, sollte den Relationen
billig sein. Streng genommen sind Beziehungen keine Realitäten.
Aber weit mehr noch als bei Klassen sind wir bei Relationen ge-
neigt, sie wie Tatsachen zu behandeln3. Dem entspricht es ja auch,
wenn Naturgesetze als Wirklichkeiten genommen werden. Und es
entspricht ihm auch, wenn Gemeinschaftsbeziehungen zwischen den
Menschen: Freundschafts- und Liebesverhältnisse, Ehe, Verwandt-
schaft usw. als Realitäten behandelt werden4. Wie es scheint, be-
steht hier eine Verknüpfung des Problems der Realität von Rela-
tionen mit dem der Realität von Gemeinschaften. Nur wer eine Ge-
meinschaft für mehr und anderes erachtet als einen Inbegriff von
zwischenmenschlichen Beziehungen, wird hier widersprechen.
Selbst für Relationen zwischen Klassen hat Carnap gezeigt,
1 Logistisch: „die Extension einer Aussagefunktion mit einer Argument-
stelle“ (siehe z. B. Carnap, a. a.O., § 33).
2 In begriffsrealistischen Kreisen trifft man die Redeweise von der Rea-
lität von „Arten“ an, die inhaltslogisch gewissen Klassen korrespondieren. So
spricht Pfänder, Logik, S. 260f. (126f.) von dem Adler oder dem Schwefel
als „realiter existierenden Arten“, fügt allerdings hinzu: „Die Realität der
Art bedeutet nur, daß sie in einzelnen realen Gegenständen vorkommt, nicht
daß sie selbst unter den realen Gegenständen als ein besonderer Einzelgegen-
stand anzutreffen sei“. Charakteristisch auch S. 269 unten (S. 135 unten).
Scharf betont die Wirklichkeit nur des Individuellen: Linke, a.a.O., S. 126.
3 So auch Bolzano, Wissenschaftslehre I, § 80 Anm. 2.
4 Vgl. auch Frank, II, zu § 263 StGB.: „Unter den Begriff der Tat-
sache fallen auch die Identität einer Person, ihre verwandtschaftlichen Bezie-
hungen, ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Rasse oder einem bestimmten
Stand“, ferner Schönke, Zivilprozeßrecht, 1938, S. 195: „Mehrere zu einem
Begriff zusammengefaßte Einzeltatsachen können dann Gegenstand des Be-
weises sein, wenn das Urteil, das infolgedessen von den Beteiligten abgegeben
ist, ganz einfach ist, so z. B. bei dem Begriff cLiebesverhältnis5 (RG. Gruchot
62, S. 392)“.