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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 5. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung: vorgelegt am 14.11.1942 — Heidelberg, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42030#0056
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56

Karl Engisch:

nen Schmerz nehmen wir nur dann als wirklich, und nicht als bloße
Simulation, wenn wir gläubig überzeugt sind, daß er von dem sich
leidend Gebärdenden auch gefühlt wird. Diese Idee von der grund-
sätzlichen Wahrnehmbarkeit alles Wirklichen finden wir in der oben
zitierten Darlegung Wenzls, wir finden sie aber wiederum bei Kant
wenn er sagt: ,,So erkennen wir das Dasein einer alle Körper durch-
dringenden magnetischen Materie aus der Wahrnehmung des gezo-
genen Eisenfeiligs, obzwar eine unmittelbare Wahrnehmung dieses
Stoffs uns nach der Beschaffenheit unserer Organe unmöglich ist.
Denn überhaupt würden wir nach Gesetzen der Sinnlichkeit und
dem Kontex unserer Wahrnehmungen in einer Erfahrung auch auf
die unmittelbare empirische Anschauung derselben stoßen, wenn
unsere Sinnen feiner wären, deren Grobheit die Form möglicher Er-
fahrung überhaupt nichts angeht“1. Gegen diese Idee der grund-
sätzlichen Wahrnehmbarkeit kann nicht eingewendet werden, die
Wirklichkeit werde nun durch die Möglichkeit definiert und da-
mit durch einen Begriff, der logisch komplizierter und auf den der
Wirklichkeit aufgebaut sei2. Wir definieren die Wirklichkeit in dem
Sinne durch die Möglichkeit, daß wir diese selbst miterklären. Wirk-
lichkeit bedeutet: das für wirklich Erklärte würde wahrgenommen
werden, wenn die und die bestimmten Bedingungen des Wahrneh-
mens erfüllt wären. Die Möglichkeit ist eben insofern nur bedingte
Wirklichkeit. Man darf auch nicht einwenden3, daß nun auch das
Zukünftige wirklich werde, indem es ja unter bestimmten Bedingun-
gen wahrnehmbar sei. Denn ganz abgesehen davon, daß wir in der
Tat das Zukünftige wirklich nennen könnten, sofern eben die Be-
dingungen erfüllt wären, unter denen es eintritt und zur Wahrneh-
mung gelangt, daß wir aber das Zukünftige nun einmal nicht wirk-
lich nennen, weil jene Bedingungen nicht erfüllt sind und wir nie
genau wissen, ob sie erfüllt werden: Wirklichkeit heißt Wahrneh-
mungsgegenstand sein unter ganz bestimmten genau angebbaren
und nur vielleicht praktisch nicht erfüllbaren Bedingungen („würde
ich ein Loch in Richtung des Erdmittelpunktes bohren . . .“ usw.).
„Für uns bedeutet die ,Wahrnehmbarkeit4 die Geltung ganz be-
stimmter Gesetze, das Auftreten der Wahrnehmungen bei Erfüllung
1 a. a. O. Es kann dann ganz dahingestellt bleiben, ob Kant mit seiner
Vorstellung von der stofflichen Natur der magnetischen „Materie“ recht hatte.
2 Vgl. Schlick, a.a.0., S. 169.
3 Siehe zum folgenden die Darlegungen von Asters, a. a. 0., S. 173ff.,
ferner Schlick, a.a.O., S. 175.
 
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