Metadaten

Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 5. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung: vorgelegt am 14.11.1942 — Heidelberg, 1943

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42030#0072
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
72

Karl Engisch:

mordes beschuldigt und leugnet die Tat. Ein Tatzeuge fehlt. Wohl
aber ist durch Zeugen festgestellt (und zwar auf dem zuvor beschrie-
benen Wege), daß der Beschuldigte vor der Ermordung des Opfers
in großer Geldverlegenheit war, Bekannte ohne Erfolg um Geld an-
gegangen hat, daß er dagegen am Tage nach dem Mord größere Ein-
käufe gemacht hat. Durch Augenschein ist weiter festgestellt, daß
sich an den bei der Verhaftung kurz nach der Tat getragenen Hosen
Blutspuren befinden, die nach sachverständigem Urteil sehr wohl
von dem Opfer herrühren können, während der Beschuldigte selbst
erklärt, sich beim Rasieren geschnitten und dadurch befleckt zu
haben. Schließlich ist durch Zeugen oder Geständnis festgestellt,
daß der Beschuldigte zur Zeit des Mordes nicht zu Hause war, kurz
vorher in Begleitung des Opfers ein Gasthaus besucht hat und daß
hier das Opfer die Zeche aus seiner Brieftasche beglichen hat. Auf
die Fragen, wo er sich zur Zeit der Tat befand und wie er in den Be-
sitz des Geldes gekommen ist, gibt er keine oder eine durch Zeugen
als unwahr erwiesene Antwort. Frühere Straftaten, über die die
Urteile vorhegen, weisen den Beschuldigten als rohen, gewalttätigen
und amoralischen Menschen auf. Das Gericht hält diese Indizien
für hinreichend, um den Beschuldigten zu verurteilen. An diesem
Beispiel können wir sofort verschiedene für den „eigentlichen“ In-
dizienbeweis typische Dinge kennen lernen: Einmal, daß auch hier
die Indizien ihrerseits entweder durch Eigenwahrnehmung des
Beweisaufnehmenden oder durch Mitteilung fremder Wahrnehmung
bzw. Erinnerung oder auch durch andere Indizien, che dann aber
letzlich auf solche der vorgeschriebenen Art zurückgeführt werden
müssen (worauf sich der Unterschied der Indizien „verschiedener
Grade“1 gründet), erwiesen sein müssen2. Sodann, daß es meist
1 Siehe hierzu beispielsweise Beling, a.a.O., S. 279.
2 Insofern hat also Planck, a. a. O., S. 159 recht, wenn er alle Erkenntnis-
quellen des-Beweises schließlich auf zwei reduziert: „eigene Wahrnehmung
oder Mitteilung fremder Wahrnehmungen“. Wenn er dann aber selbst S. 161 f.
der Mitteilung fremder Wahrnehmungen die Mitteilung fremder Schlußfolge-
rungen gleichstellt, so muß hierzu gesagt werden: Selbst wenn psychologisch
und juristisch die Feststellung von Tatsachen im Prozeß durch schlichte Über-
nahme fremder Schlußfolgerungen aus Indizien geschehen sollte und dürfte
(ein Richter eignet sich einfach ohne besondere Nachprüfung das Ergebnis
eines ihm zuverlässig scheinenden Gutachtens an — was aber nach unseren
Prozeßordnungen wohl nicht einmal zulässig ist, wozu Mezger, a. a. 0.,
S. 128ff.), so hat logisch gesehen dann der andere, dessen Schlußfolgerungen
man übernimmt, den Beweis erhoben und die Tatsachen festgestellt. Logisch
betrachtet gehört zum vollständigen Indizienbeweis, daß ich nicht nur die
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften