Karl Engisch:
Schließlich lassen wir auch außer Betracht jene Relativität
von Tatsache und Rechtsnorm, die sich aus dem Stufenbau der
Rechtsordnung ergibt. Ein Gewohnheitsrecht, eine Verordnung,
ein Vertrag („lex contractus“) kann bald nach seinen tatsächlichen
Momenten der unter rechtliche Obersätze zu subsumierende Sach-
verhalt sein (bei einer Prüfung der Gültigkeit) bald aber auch den
rechtlichen Obersatz selbst liefern, unter den konkrete Tatsachen
unterzuordnen sind. Aber das ist mehr von rechtstheoretischem
als von juristisch logischem Interesse1.
Um die Frage des Verhältnisses der Tatsachenfeststellung
selbst zur Subsumtion handelt es sich für uns, um die Frage, ob
sich etwa jene Feststellung mit dieser Einordnung in den Umfang
der gesetzlichen Tatbestandsbegriffe unauflöslich verschlinge, oder
ob es hier ein Prinzip der Grenzziehung gibt und gegebenenfalls,
welches es ist. In diesem und nur in diesem Sinne stellen wir jetzt
die Frage nach dem Verhältnis von Tatsachenfeststellung und „recht-
licher Erwägung“. Eine Anzahl von Beispielen mag das Problem
beleuchten. Einigermaßen klar und sicher steht uns in folgenden
Fällen der Gegensatz von „Tat- und Rechtsfrage“ vor Augen: ob A
(und nicht ein anderer) den X erschossen hat und ob er hierbei den X
als Menschen erkannt und nicht mit einem Stück Wild verwechselt
hat, das ist Tatfrage. Ob dagegen der A „vorsätzlich“ getötet hat,
wenn er mit der Möglichkeit rechnete, daß das von ihm für ein Stück
Wild gehaltene Objekt ein Mensch sei und ihm dies gleichgültig
war, das ist zweifellos Rechtsfrage. Ob ein Dieb 5 oder 10 oder
20 Flaschen Wein weggenommen hat, ist „Tatfrage“, ob aber die als
weggenommen ermittelten 5 Flaschen Wein eine „geringe Menge“
im Sinne des § 370 Ziff. 5 StGB, darstellen oder ob sie einen unbe-
deutenden „Wert“ haben, darf man als „Rechtsfrage“, als Subsum-
tionsfrage ansehen. Wie aber steht es nun in folgenden Fällen ? Ist
die Frage, ob ein Diebstahl, der im Morgengrauen begangen wurde,
bei „Dunkelheit“ und deshalb „zur Nachtzeit“ begangen ist, eine
Frage der Tatsachenfeststellung oder der Subsumtion ? Wenn eine
Norm von roten oder gelben Fahnen spricht oder wenn zu Ver-
dunkelungszwecken die Benutzung blau abgeblendeter Lampen
vorgeschrieben ist, ist dann die Entscheidung der Frage, ob ein be-
stimmtes Fahnentuch rot oder gelb bzw. ob eine bestimmte Blende
blau oder grün ist, eine Tatsachenfeststellung oder eine Subsum-
tion ? Wenn ein Gericht aufgrund einer Zeugenaussage, daß jemand
1 S. dazu etwa Bierling, a.a.O., S. 23ff.
Schließlich lassen wir auch außer Betracht jene Relativität
von Tatsache und Rechtsnorm, die sich aus dem Stufenbau der
Rechtsordnung ergibt. Ein Gewohnheitsrecht, eine Verordnung,
ein Vertrag („lex contractus“) kann bald nach seinen tatsächlichen
Momenten der unter rechtliche Obersätze zu subsumierende Sach-
verhalt sein (bei einer Prüfung der Gültigkeit) bald aber auch den
rechtlichen Obersatz selbst liefern, unter den konkrete Tatsachen
unterzuordnen sind. Aber das ist mehr von rechtstheoretischem
als von juristisch logischem Interesse1.
Um die Frage des Verhältnisses der Tatsachenfeststellung
selbst zur Subsumtion handelt es sich für uns, um die Frage, ob
sich etwa jene Feststellung mit dieser Einordnung in den Umfang
der gesetzlichen Tatbestandsbegriffe unauflöslich verschlinge, oder
ob es hier ein Prinzip der Grenzziehung gibt und gegebenenfalls,
welches es ist. In diesem und nur in diesem Sinne stellen wir jetzt
die Frage nach dem Verhältnis von Tatsachenfeststellung und „recht-
licher Erwägung“. Eine Anzahl von Beispielen mag das Problem
beleuchten. Einigermaßen klar und sicher steht uns in folgenden
Fällen der Gegensatz von „Tat- und Rechtsfrage“ vor Augen: ob A
(und nicht ein anderer) den X erschossen hat und ob er hierbei den X
als Menschen erkannt und nicht mit einem Stück Wild verwechselt
hat, das ist Tatfrage. Ob dagegen der A „vorsätzlich“ getötet hat,
wenn er mit der Möglichkeit rechnete, daß das von ihm für ein Stück
Wild gehaltene Objekt ein Mensch sei und ihm dies gleichgültig
war, das ist zweifellos Rechtsfrage. Ob ein Dieb 5 oder 10 oder
20 Flaschen Wein weggenommen hat, ist „Tatfrage“, ob aber die als
weggenommen ermittelten 5 Flaschen Wein eine „geringe Menge“
im Sinne des § 370 Ziff. 5 StGB, darstellen oder ob sie einen unbe-
deutenden „Wert“ haben, darf man als „Rechtsfrage“, als Subsum-
tionsfrage ansehen. Wie aber steht es nun in folgenden Fällen ? Ist
die Frage, ob ein Diebstahl, der im Morgengrauen begangen wurde,
bei „Dunkelheit“ und deshalb „zur Nachtzeit“ begangen ist, eine
Frage der Tatsachenfeststellung oder der Subsumtion ? Wenn eine
Norm von roten oder gelben Fahnen spricht oder wenn zu Ver-
dunkelungszwecken die Benutzung blau abgeblendeter Lampen
vorgeschrieben ist, ist dann die Entscheidung der Frage, ob ein be-
stimmtes Fahnentuch rot oder gelb bzw. ob eine bestimmte Blende
blau oder grün ist, eine Tatsachenfeststellung oder eine Subsum-
tion ? Wenn ein Gericht aufgrund einer Zeugenaussage, daß jemand
1 S. dazu etwa Bierling, a.a.O., S. 23ff.