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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1941/42, 5. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung: vorgelegt am 14.11.1942 — Heidelberg, 1943

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https://doi.org/10.11588/diglit.42030#0088
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Karl Engisch:

Wir haben eine große Anzahl von Beispielen angeführt, um zu
zeigen, daß es sich hier keineswegs um ein Problem handelt, das
ausnahmsweise einmal auftaucht, sondern um ein solches, das
sich häufig stellt. Manche haben angesichts seiner resigniert. Es
gebe keine Möglichkeit, Tatsachenfeststellung und Subsumtion
klar von einander zu scheiden.
„Es gibt allgemeine Tatfragen, welche, die engen Grenzen des kon-
kreten Falles durchbrechend, sich über weite Gebiete der Erfahrung aus-
breiten. Und es gibt konkrete Rechtsfragen, welche über die rechtliche
Regelung einer individuellen Konstellation von Umständen nicht hinaus-
gehen, die Niederungen der Wirklichkeit nicht verlassen“. Eine allge-
meine Tatfrage, die unter der Hand in eine Rechtsfrage übergeht, liegt
danach beispielsweise vor, wenn darüber zu entscheiden ist, ob die
Warenbezeichnung „Xer Pilsener Bier“ eine „fälschliche“ Bezeichnung
ist. Denn um unter den verschiedenen hierüber umgehenden Ansichten
die eine als „die im Verkehr vorherrschende“ feststellen zu können,
„wird sich der Richter die Frage vorlegen müssen, welcher Grad von
Täuschungsmöglichkeit genügen soll, um die Bezeichnung für ,unrichtig‘
zu erklären. Das ist aber offenbar nicht mehr Tatfrage, sondern Rechts-
frage .... Hiezu kommt, daß die tatsächliche Übung des Verkehrs
offenbar nicht unbedingt maßgebend ist ... . Maßgeblich sind die
Anschauungen des ehrlichen, anständigen Verkehrs“. Eine konkrete
Rechtsfrage, die sich von der tatsächlichen Situation nicht loslöst,
haben wir beispielsweise, wenn darüber zu entscheiden ist, ob ein
Chauffeur die in concreto zulässige Geschwindigkeit überschritten
hat. „Ob durch eine gegebene Fahrgeschwindigkeit unter gegebenen
Umständen die Verkehrssicherheit gefährdet war, ist zunächst Tat-
frage; aber in der Feststellung, daß es der Fall war oder daß es nicht
der Fall war, ist bereits das Ergebnis der rechtlichen Würdigung enthal-
ten. Wer will hier genau die Grenze ziehen, wo die Tatfrage aufhört und
die Rechtsfrage anfängt?“ So Wehli, a.a.O. S. 415, 435f. „Bei der
Rechtsanwendung wird die mittels sozialer Begriffe vorgeformte Gege-
benheit den diesen Begriffen nachgebildeten (ergänze: gesetzlichen) Tat-
bestandsbegriffen subsumiert. So erscheinen übereinstimmende Begriffe
bei der Beantwortung der Tat- und bei der Beantwortung der Rechts-
frage, es wird zu einer Sache des Beliebens, v»b man die Anwendung sol-
cher Begriffe als tatsächliche Feststellung oder als rechtliche Würdigung
aufmacht, und die auf diesen Gegensatz gegründete Unterscheidung von
Berufung und Revision erweist sich als . . . undurchführbar“. So Rad-
bruch, a.a.O„ S. 189 (vgl. auch Sauer, S. 65/66). Mannheim (a.a.0„
S. 61) betont, daß „jede Wirklichkeitsbetrachtung bereits wertende Ele-
mente voraussetzt“. Und Graf Dohna spricht drastisch von einem
„Knoten, dessen Lösung allen Menschenwitz übersteigen würde“ und
den sich unsere Revisionsgerichte nur „mit einer gewissen souveränen
Würde einfach durchzuhauen“ angewöhnt hätten (Strafprozeßrecht,
2. Auflage, S. 187 mit Beispielen in Anm. 1; vgl. außerdem auch noch
 
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