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Köhler, Walther; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1942/43, 4. Abhandlung): Der verborgene Gott — Heidelberg, 1946

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https://doi.org/10.11588/diglit.42034#0004
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4

Walther Köhler

De deo abscondito hat ja z. B. auch Nicolaus Cusanus geschrieben1,
zwei Menschenalter vor Luther, besteht da ein Zusammenhang, und
sei es auch nur ein ideologischer ? In den Complex der Begriffs-
geschichte des deus absconditus möchte meine Untersuchung etwas
hineinleuchten, um den Nutznieße n des Begriffes ihren Platz auf
einer Linie anweisen zu können. Dazu gehören nicht etwa nur der
Cusanus und Luther, sondern eine ganze Schar von Theologen und
Philosophen bis auf Eduard Spranger, dessen Vortrag über
,,'Weltfrömmigkeit“2 den unbekannten Gott geradezu zum Expo-
nenten der menschlichen Existenz machte.
In dem Begriff Deus absconditus steckt ein Doppeltes: einmal
der verborgene Gott, sodann der sich verbergende Gott. Beide
Fassungen sind sehr verschieden und müssen zunächst streng aus-
einander gehalten werden; ob und wie sie sich berühren können,
ist eine spätere Frage. Der verborgene Gott, der deus occultus,
ist, mit Luther zu reden der deus incognoscibilis, incomprehen-
sibilis, inscrutabilis, der agnöstos theos der Antike, die menschlichem
Erkennen unerforschbare Gottheit. Er ist das Letzte und damit
Einzige, was die menschliche Vernunft über sie aussagen kann.
Gleichsam des Logos Ende. Jedenfalls bewegt sich die ganze Ideo-
logie dieser Linie des unbekannten Gottes auf dem Gebiete des
Logos. Mag sie auch philosophisch reich ausgebaut erscheinen, ihre
Struktur ist verhältnismäßig einfach. Es ist ein beständiges Kreisen
um das menschliche Unvermögen, Gott zu erfassen. Er bleibt der
vor den Augen aller Welt weisen verborgene Gott, jede Vernunftt
einsicht ist zu gering, ihn sich vorzustellen und zu begreifen, es
gibt im Bereiche des Vernünftigen und Einsehbaren keinen Begriff,
der eine Ähnlichkeit zu Gott ausdrückte. In dieser Art geht es
weiter, wenn man etwa die Schrift des Cusanus „De deo abscon-
dito“ liest. Das Wissen von Gott ist (gelehrtes) Nichtwissen, docta
ignorantia. Die philosophische Grundlage für diese Lehre vom ver-
borgenen Gott liefern Plato und die Neuplatoniker, klassisch for-
muliert von Dionysius Areopagita. Bei allen kosmologischen System-
ansätzen geht der Weg hier von unten nach oben, es ist ein Suchen
nach Gott, das nur den unbekannten Gott findet. „Ich will Dich
kennen, Unbekannter!“ (Nietzsche), und muß doch einsehen, daß
1 Vom verborgenen Gott (De deo abscondito). Schriften des Nikolaus
von Cues, in deutscher Übersetzung hrsg. von Ernst Hoffmann, Heft 3, 1940.
Die Übersetzung stammt von E. Bohnenstaedt.
2 Ed. Spranger: Weltfrömmigkeit, 1941.
 
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