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Gustav Hölscher
östlich an Susa vorbei; es ist der Eulaios der Alten, hebr. ’Ulai. Heu-
te ergießen sich beide Ströme nicht selbständig in den Persischen
Meerbusen, sondern vereinigen sich vorher mit dem Euphrat und
Tigris zu einem einzigen breiten Strom, der als Satt el-'arab ins Meer
fließt. Aber das Mündungsdelta in seiner jetzigen Gestalt hat sich,
wie man weiß, erst in jüngerer Zeit durch das Schwemmland der
vier Ströme gebildet. Im Altertum erstreckte sich der Persische
Meerbusen viel weiter ins Land hinein, sodaß nicht nur der Kärün,
sondern auch der Kerchä, ebenso wie Euphrat und Tigris, selbstän-
dig ins Meer einmündete. An diese vier Ströme muß also der Verfas-
ser von Gen 210_14 gedacht haben. Daß er sie alle aus einer gemeinsa-
men Quelle im Norden herleitet, bereitet keine Schwierigkeiten;
denn über den Lauf der zwei östlichen Ströme weiß er so wenig Ge-
naueres, wie über ihre eigentlichen Namen; auch von der Lage und
Richtung des iranischen Gebirgslandes, in welchem Kärün und Ker-
chä entspringen, hat er keine klare Vorstellung und rückt es zu weit
nach Norden hinauf. Auch münden die zwei Ströme nach seiner Auf-
fassung nicht in den Persischen Meerbusen, sondern fließen, nach-
dem sie zuerst südwärts gelaufen sind, in weitem Bogen — wie der
Wortlaut andeutet — um die Länder Chäwilä und Küs herum. Die
geographische Anschauung ist auch hier durchaus unklar, indem
Chäwilä über Küs hinausgerückt erscheint, sodaß man genau genom-
men den Gichön überschreiten müßte, um von Küs nach Chäwilä zu
gelangen1.
Dies fremdartige geographische Bild wird, wenn man auf eine
Klärung der letztgenannten Unklarheit verzichtet, doch einiger-
maßen begreiflich, wenn man sich an die allgemeine Erdvorstellung
der Alten erinnert. Vom südlichen Meere, vom Indischen Ozean und
seinen Einbuchtungen, dem Persischen und dem Arabischen Meer-
busen, weiß man nichts. Der Süden des Erdkreises, den man hier
mit den Namen Küs (Äthiopien) und Chäwilä (Arabien) belegt und
um welche Gichön und Pisön fließen, ist eine weite Landmasse. Vom
Arabischen Meerbusen kennen die Hebräer in alter Zeit nur die
nördliche Hälfte; die Durchfahrt durch die Meerenge von Bäb el-
1 Die seltsame Vorstellung erklärt sich vielleicht ganz einfach daraus, daß
die Reise nach Chäwilä für den Erzähler oder seine Quelle über Küs und von
da übers Wasser an die arabische Goldküste geht. Daß das Bedölach (βδέλλιον),
ein wohlriechendes wachsähnliches Gummi, in Arabien vorkam, bezeugt Pli-
nius (12, 35). Der Sohamstein ist ein nicht sicher bestimmbarer Edel- oder
Halbedelstein; der Bezug solcher kostbarer Steine aus Arabien ist vielfach be-
zeugt.
Gustav Hölscher
östlich an Susa vorbei; es ist der Eulaios der Alten, hebr. ’Ulai. Heu-
te ergießen sich beide Ströme nicht selbständig in den Persischen
Meerbusen, sondern vereinigen sich vorher mit dem Euphrat und
Tigris zu einem einzigen breiten Strom, der als Satt el-'arab ins Meer
fließt. Aber das Mündungsdelta in seiner jetzigen Gestalt hat sich,
wie man weiß, erst in jüngerer Zeit durch das Schwemmland der
vier Ströme gebildet. Im Altertum erstreckte sich der Persische
Meerbusen viel weiter ins Land hinein, sodaß nicht nur der Kärün,
sondern auch der Kerchä, ebenso wie Euphrat und Tigris, selbstän-
dig ins Meer einmündete. An diese vier Ströme muß also der Verfas-
ser von Gen 210_14 gedacht haben. Daß er sie alle aus einer gemeinsa-
men Quelle im Norden herleitet, bereitet keine Schwierigkeiten;
denn über den Lauf der zwei östlichen Ströme weiß er so wenig Ge-
naueres, wie über ihre eigentlichen Namen; auch von der Lage und
Richtung des iranischen Gebirgslandes, in welchem Kärün und Ker-
chä entspringen, hat er keine klare Vorstellung und rückt es zu weit
nach Norden hinauf. Auch münden die zwei Ströme nach seiner Auf-
fassung nicht in den Persischen Meerbusen, sondern fließen, nach-
dem sie zuerst südwärts gelaufen sind, in weitem Bogen — wie der
Wortlaut andeutet — um die Länder Chäwilä und Küs herum. Die
geographische Anschauung ist auch hier durchaus unklar, indem
Chäwilä über Küs hinausgerückt erscheint, sodaß man genau genom-
men den Gichön überschreiten müßte, um von Küs nach Chäwilä zu
gelangen1.
Dies fremdartige geographische Bild wird, wenn man auf eine
Klärung der letztgenannten Unklarheit verzichtet, doch einiger-
maßen begreiflich, wenn man sich an die allgemeine Erdvorstellung
der Alten erinnert. Vom südlichen Meere, vom Indischen Ozean und
seinen Einbuchtungen, dem Persischen und dem Arabischen Meer-
busen, weiß man nichts. Der Süden des Erdkreises, den man hier
mit den Namen Küs (Äthiopien) und Chäwilä (Arabien) belegt und
um welche Gichön und Pisön fließen, ist eine weite Landmasse. Vom
Arabischen Meerbusen kennen die Hebräer in alter Zeit nur die
nördliche Hälfte; die Durchfahrt durch die Meerenge von Bäb el-
1 Die seltsame Vorstellung erklärt sich vielleicht ganz einfach daraus, daß
die Reise nach Chäwilä für den Erzähler oder seine Quelle über Küs und von
da übers Wasser an die arabische Goldküste geht. Daß das Bedölach (βδέλλιον),
ein wohlriechendes wachsähnliches Gummi, in Arabien vorkam, bezeugt Pli-
nius (12, 35). Der Sohamstein ist ein nicht sicher bestimmbarer Edel- oder
Halbedelstein; der Bezug solcher kostbarer Steine aus Arabien ist vielfach be-
zeugt.