Metadaten

Panzer, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1949/50, 2. Abhandlung): Vom mittelalterlichen Zitieren — Heidelberg, 1950

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42217#0020
License: Free access  - all rights reserved
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
20

Friedrich Panzer

ziert sich Reinmar mit der Person, der die Belehrung zuteil wird,
obwohl es in dem angezogenen Spruche ein leint ist, das die Beleh-
rung von dem meister erbittet und erhält. Roethe hat das (S. 22)
ernst genommen und aus Reinmars Spruch geschlossen, daß Walther
wirklich während seines Aufenthaltes in Österreich in den Jahren
1219/20 Reinmars Lehrer gewesen sei. Ich glaube nach dem, was
wir hier schon vom Wesen mittelalterlichen Zitierens kennengelernt
haben, nicht daran, daß Reinmars Spruch und sein Verhältnis zu
dem Waltherschen die Belastung mit einer so realistisch gewichtigen
These zu tragen geeignet ist.
Es mag damit einstweilen genug an Belegen gegeben sein, um
zu zeigen, wie es um dies mittelalterliche Zitieren steht. Hinzuzu-
fügen bliebe nur noch, daß öfter Zitate vorgetäuscht werden, wo
solche in Wahrheit nicht vorliegen, der Dichter vielmehr nur Dek-
kungen für eigene Erfindungen sucht. Es ist bekannt genug1, daß
dem Mittelalter das Verständnis für eine höhere dichterische Wahr-
heit noch nicht aufgegangen war, daß Hörer- und Leserschaft
äußere, womöglich durch diu buoch bestätigte, geschichtliche Wahr-
heit verlangte. Das hat ja hundertfältig zur Vorspiegelung erfun-
dener Quellen geführt, ein Brauch, der aus der Spätantike ins Mittel-
alter übergegangen ist und in geistlichen wie weltlichen Literatur-
werken oft genug begegnet2. Die berühmtesten Fälle im germani-
stischen Bereiche sind die Vorspiegelung der Klage von einer Auf-
zeichnung der Nibelungensage durch Konrad, den Schreiber eines
Bischofs Pilgrim von Passau, und des Provenzalen Kiot als angeb-
licher Quelle von Wolframs Parzival. Zu bemerken wäre hier nur,
daß diese erfundenen Vorlagen nicht bloß in allgemeiner gehaltenen
Aussagen als Quelle der Erzählung genannt, sondern auch für
Einzelheiten als Zeugen angerufen werden, so daß die Aussage als
ein Zitat erscheint. Wir finden einen solchen Fall z. B. in der Klage,
da sie den mehrfach von ihr angerufenen meister, dem ihre Erzäh-
lung folgt, d. li. den Verfasser des Nibelungenliedes, auch lür den
Zug, daß Frauen den im Hunnenkampfe Gefallenen die Rüstungen
auszogen, als Quelle angiht, obwohl das ihre eigene, nirgends sonst
bezeugte und völlig belanglose Erfindung ist. Oder Wolfram sagt
1 K. VlETOR hat (PBB. 46, 1922, 101 ff.) darüber ausführlich gehandelt.
Sehr seltsam ist freilich sein Versuch, die geschichtliche Existenz von Wolframs
Kiot spekulativ-ethisch zu begründen (S. 110f.) nach dem bedenklichen Grund-
sätze, daß nicht sein kann, was nicht sein darf.
2 Reiche Zusammenstellungen gibt F. Wilhelm, PBB. 33, 1908, 286ff.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften