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Panzer, Friedrich; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1949/50, 2. Abhandlung): Vom mittelalterlichen Zitieren — Heidelberg, 1950

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https://doi.org/10.11588/diglit.42217#0036
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Friedrich Panzer

zu sagen hatten. Es ist die Tatsache, daß unsere mittelalterliche
Sprache kein Wort besaß für den Begriff des Ähnlichen; er muß in
ihr durch dasselbe Wort ausgedrückt werden, das den Begriff der
Identität ausdrückt, das Wort „gleich“. Zwar steht von altersher
neben der Bildung gilih auch die Bildung analih und als Mischform
anagilih, aber ohne Unterschied in der Bedeutung, nur daß die
zweite Bildung mit ana- viel seltener begegnet. Gotisch analeikö, nur
einmal belegt, übersetzt griechisch ogoho<;, ahd. analih übersetzt
lateinisch aequalis. Für mhd. anelich bringen unsere beiden großen
mhd. Wörterbücher nur 4 Belege, davon drei aus der Gudrun; man
könnte an allen 4 Stellen ganz wohl auch gelich einsetzen. Unser
ähnlich breitet sich erst in der nhd. Sprachperiode vom Ostmittel-
deutschen her aus, durch Uuther gefördert; Adam Petris Bibel-
glossar von 1522 muß es für oberdeutsche Leser der Lutherschen
Bibelübersetzung noch durch Übersetzung mit glich verständlich
machen, das heute noch in den oberdeutschen Mundarten das ihnen
fehlende ähnlich ersetzt. Nach A. Götze wäre der um die Ausbil-
dung einer mathematischen Fachsprache allgemein verdiente Jo-
hannes Kepler der erste, der in seinem Österr. Wein-Visier-Biich-
lein von 1616 gleich als cequalis von enlich als similis unterscheidet.
Herder hat gesagt, kein Volk habe einen Begriff für das, wofür es
kein Wort hat. Im Mittelalter wurden von unserer Sprache Identi-
tät und Ähnlichkeit noch ungeschieden durch dasselbe Wort be-
zeichnet. Wir dürfen uns also nicht wundern, wenn wir in unseren
mittelalterlichen Zitaten vielfach bloß Ähnlichkeit finden, wo wir
Identität erwarten.
EXKURS
Zur Datierung des Nibelungenliedes und der Klage
Die Geschichte unserer mittelalterlichen Literatur ist nicht eben
reich an gesicherten und genauen Datierungen auch nur ihrer her-
vorragendsten Werke. Um so inniger muß ihr anliegen, für ein Ge-
dicht wie das Nibelungenlied, das, in sich bedeutend genug, noch
auf die Folgezeit eine weitreichende Wirkung ausgeüht hat, die
Entstehungszeit womöglich bis aufs Jahr genau festzulegen. Aus
dem Liede seihst läßt sich das nicht holen. Es bietet nur eine aller-
dings auch schon willkommene Abgrenzung nach rückwärts durch
seine 27. Aventiure, das berühmte „Idyll von Bechelaren“. Ich
glaube nachgewiesen zu haben6, daß diese Erzählung nichts anderes

6 Studien zum Nibelungenliede 1945, S. 95ff.
 
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