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Friedrich Panzer
dichtet. Höher kann man Freiheit und Willkür im Zitieren nun
schwerlich mehr steigern.
Ich will aber nicht unterlassen festzustellen, daß doch auch im
Mittelalter Zitate begegnen, die unseren Anforderungen an Ge-
nauigkeitweitgehend entsprechen. So führt Walther von der Vogel-
weide in seiner Klage um Reinmars Tod (82, 36) als Teil einer rede,
d. h. hier eines Liedes Reinmars, die Worte an: so wol dir wip, wie
reine ein nam\; sie finden sich genau so als Anfangszeile einer Strophe
in einem uns bewahrt gebliebenen Liede Reinmars (MSF. 165, 28). —
Der jüngere Titurel sagt ebenso richtig (Str. 578), daz min her Walther
künde sprechen, daz gotes hulde und guot und werltlich ere in einen
schrin (Flahn fälschlich: schirm) iht mähte nach dem bekannten
Spruche. — Ähnlich genau wird Walther von Rudolf von Ems im
Wilhelm von Orlens zitiert V. 4466: Nu sint ir doch an andern gram,
vro Minne und ouch du, Kintliait, als uns maister Walther sait von
der Vogehoaide, der sanch, das ir baide ivarent gar an ander gram ent-
sprechend Walther 102, 8 minn unde kintlieit sint ein ander gram.
Und Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst zitiert hinter
Str. 176 die sechs Anfangszeilen der ersten Strophe von Walthers
berühmtem Liede „Ir sult sprechen willekomen“ bis auf drei ganz
unbedeutende Änderungen, die Schreiberversehen sein mögen, voll-
kommen genau; es fehlt nur die Schlußzeile, die Strophe voll zu
machen3.
Ich darf auch umgekehrt auf die Tatsache hinweisen, daß auch
in unserer Zeit in vielgebrauchten, zu sprichwörtlichen Redensarten
gewordenen Zitaten Ungenauigkeiten dem Original gegenüber sich
festgesetzt haben. Das ist nicht nur in Bibelzitaten der Fall, die
nicht selten den Text der Lutherbibel, aus der sie so gut wie alle
stammen, verändert zeigen, z. B. Hochmut kommt vor dem Fall gegen
Spr. Sal. 16, 18 Stolzer Mut kommt vor dem Fall; Unrecht Gut gedeiht
nicht gegen Spr. Sal. ü. G. hilft nichts; Prüfet alles und behaltet das
Beste statt 1. Thess. 5, 21 Prüfet alles und das Gute behaltet, sondern
auch bei Zitaten aus neueren Dichtern. Z. B. steht im Fiesco 3, 4
Der Mohr hat seine Arbeit getan, nicht seine Schuldigkeit; der An-
fangsvers des Don Carlos heißt nicht Die schönen Tage von Aranjuez
sind nun vorüber sondern zu Ende; Dem Glücklichen schlägt keine
3 Es ist wohl kein Zufall, daß es bei all diesen genauen Zitaten sich erstens
um Walthersche Dichtung handelt, die gewiß, als häufig vorgeti;agen, allgemein
besonders gut bekannt war; zweitens und vor allem aber haften gesungene
Verse weit sicherer im Gedächtnis als gesprochene.
Friedrich Panzer
dichtet. Höher kann man Freiheit und Willkür im Zitieren nun
schwerlich mehr steigern.
Ich will aber nicht unterlassen festzustellen, daß doch auch im
Mittelalter Zitate begegnen, die unseren Anforderungen an Ge-
nauigkeitweitgehend entsprechen. So führt Walther von der Vogel-
weide in seiner Klage um Reinmars Tod (82, 36) als Teil einer rede,
d. h. hier eines Liedes Reinmars, die Worte an: so wol dir wip, wie
reine ein nam\; sie finden sich genau so als Anfangszeile einer Strophe
in einem uns bewahrt gebliebenen Liede Reinmars (MSF. 165, 28). —
Der jüngere Titurel sagt ebenso richtig (Str. 578), daz min her Walther
künde sprechen, daz gotes hulde und guot und werltlich ere in einen
schrin (Flahn fälschlich: schirm) iht mähte nach dem bekannten
Spruche. — Ähnlich genau wird Walther von Rudolf von Ems im
Wilhelm von Orlens zitiert V. 4466: Nu sint ir doch an andern gram,
vro Minne und ouch du, Kintliait, als uns maister Walther sait von
der Vogehoaide, der sanch, das ir baide ivarent gar an ander gram ent-
sprechend Walther 102, 8 minn unde kintlieit sint ein ander gram.
Und Ulrichs von Liechtenstein Frauendienst zitiert hinter
Str. 176 die sechs Anfangszeilen der ersten Strophe von Walthers
berühmtem Liede „Ir sult sprechen willekomen“ bis auf drei ganz
unbedeutende Änderungen, die Schreiberversehen sein mögen, voll-
kommen genau; es fehlt nur die Schlußzeile, die Strophe voll zu
machen3.
Ich darf auch umgekehrt auf die Tatsache hinweisen, daß auch
in unserer Zeit in vielgebrauchten, zu sprichwörtlichen Redensarten
gewordenen Zitaten Ungenauigkeiten dem Original gegenüber sich
festgesetzt haben. Das ist nicht nur in Bibelzitaten der Fall, die
nicht selten den Text der Lutherbibel, aus der sie so gut wie alle
stammen, verändert zeigen, z. B. Hochmut kommt vor dem Fall gegen
Spr. Sal. 16, 18 Stolzer Mut kommt vor dem Fall; Unrecht Gut gedeiht
nicht gegen Spr. Sal. ü. G. hilft nichts; Prüfet alles und behaltet das
Beste statt 1. Thess. 5, 21 Prüfet alles und das Gute behaltet, sondern
auch bei Zitaten aus neueren Dichtern. Z. B. steht im Fiesco 3, 4
Der Mohr hat seine Arbeit getan, nicht seine Schuldigkeit; der An-
fangsvers des Don Carlos heißt nicht Die schönen Tage von Aranjuez
sind nun vorüber sondern zu Ende; Dem Glücklichen schlägt keine
3 Es ist wohl kein Zufall, daß es bei all diesen genauen Zitaten sich erstens
um Walthersche Dichtung handelt, die gewiß, als häufig vorgeti;agen, allgemein
besonders gut bekannt war; zweitens und vor allem aber haften gesungene
Verse weit sicherer im Gedächtnis als gesprochene.