Polykarp von Smyrna und die Pastoralbriefe
Auch wäre jetzt für die Unechtheit der Pastoralbriefe ein letztes,
noch fehlendes Glied des Beweises beigebracht.
Dieser Beweis als solcher braucht freilich nicht noch einmal ge-
führt zu werden. Es ist in einem hundertfünfzigjährigen Kampf zur
Genüge und mehr als zur Genüge gezeigt worden, daß die drei an-
geblich vom Apostel Paulus an seine Schüler und Mitarbeiter Ti-
motheus und Titus gesandten Schreiben, die heute zwischen den
Thessalonicherbriefen und dem Brief an Philemon ihren kanoni-
schen Platz erhalten haben5, in Wirklichkeit nicht von Paulus ver-
faßt sein können. Wir machen die erwiesene Unechtheit der Pasto-
ralbriefe somit nicht zum Ziel, sondern zur Voraussetzung der fol-
genden Untersuchung. Bestrebungen, ihren paulinischen Ursprung
auf die eine oder andere Weise zu „retten“, haben allerdings nie-
mals auf gehört, und es ist auch nicht damit zu rechnen, daß sie je-
mals aufhören werden; aber die Frage sollte entschieden sein, und
es ist jedenfalls müßig, das oft genug Gesagte hier nochmals zu wie-
derholen. Entscheidend für die Unechtheit sind m. E. nicht die ein-
zelnen Argumente, so gewichtig sie z.T. auch sind, sondern ihre voll-
kommene, allseitige Konvergenz, der keine Gegengründe von nen-
nenswertem Gewicht entgegenstehen6. Die späte und tendenziöse Be-
zeugung7, die Rätselhaftigkeit der äußeren8 und die Unwahrschein-
lichkeit der inneren Voraussetzungen im Leben des Paulus, die un-
paulinische Gemeindeordnung, die ganz andersartige, abgeschliffene
Sprache und vor allem die durchgehende Verschiebung des gedank-
5 Im Canon Mnratori finden sie sich noch hinter dem Philemonbrief mit fol-
gender Begründung ihrer „Heiligkeit“ (col. 60ff.): ad Titum una et ad Timotheum
duas pro affectu et dilectione in honorem tarnen ecclesiae cathol icae in orclinationem
ecclesiasticae disciplinae sanctificatae sunt. In den ältesten Sammlungen der Paulus-
briefe fehlen die Pastoralbriefe noch ganz: B. S. Kasten, The Pastoral Epistles
(1948) 31 f. Über die häretische Kritik an den Briefen s. u. Anm. 22.
6 Das heißt natürlich nicht, daß manche Züge in den Briefen auch unter de1'
Voraussetzung ihrer Unechtheit schwer zu erklären sind oder gelegentlich erstaun"
lieh „echt“ wirken. Dies gilt bis zu einem gewissen Grade auch von dem „Fonmr
lar“ der Addressen, dessen weitgehende Verwandtschaft mit den echten Paulus"
briefen jedoch nicht ausreicht, um die Echtheit damit zu sichern; gegen O. Roller-
Das Formular der paulinischen Briefe. Ein Beitrag zur Lehre vom antiken Brief
(1933).
7 Eindeutig erst bei Irenäus im Rahmen seines antihäretischen Hauptwerks,
dessen Titel nach I. Tim. 6, 20 gebildet ist, und bei Klemens von Alexandrien.
Dieser erwähnt die Aversion der Häretiker gegen diese Briefe (u. Anm. 23), und
vielleicht kann auch bei ihm selbst noch „ein leises Nachklingen eines Unterschieds
der Pastoralbriefe von den andern in ihrer ziemlich niederen Rangordnung heraus-
Auch wäre jetzt für die Unechtheit der Pastoralbriefe ein letztes,
noch fehlendes Glied des Beweises beigebracht.
Dieser Beweis als solcher braucht freilich nicht noch einmal ge-
führt zu werden. Es ist in einem hundertfünfzigjährigen Kampf zur
Genüge und mehr als zur Genüge gezeigt worden, daß die drei an-
geblich vom Apostel Paulus an seine Schüler und Mitarbeiter Ti-
motheus und Titus gesandten Schreiben, die heute zwischen den
Thessalonicherbriefen und dem Brief an Philemon ihren kanoni-
schen Platz erhalten haben5, in Wirklichkeit nicht von Paulus ver-
faßt sein können. Wir machen die erwiesene Unechtheit der Pasto-
ralbriefe somit nicht zum Ziel, sondern zur Voraussetzung der fol-
genden Untersuchung. Bestrebungen, ihren paulinischen Ursprung
auf die eine oder andere Weise zu „retten“, haben allerdings nie-
mals auf gehört, und es ist auch nicht damit zu rechnen, daß sie je-
mals aufhören werden; aber die Frage sollte entschieden sein, und
es ist jedenfalls müßig, das oft genug Gesagte hier nochmals zu wie-
derholen. Entscheidend für die Unechtheit sind m. E. nicht die ein-
zelnen Argumente, so gewichtig sie z.T. auch sind, sondern ihre voll-
kommene, allseitige Konvergenz, der keine Gegengründe von nen-
nenswertem Gewicht entgegenstehen6. Die späte und tendenziöse Be-
zeugung7, die Rätselhaftigkeit der äußeren8 und die Unwahrschein-
lichkeit der inneren Voraussetzungen im Leben des Paulus, die un-
paulinische Gemeindeordnung, die ganz andersartige, abgeschliffene
Sprache und vor allem die durchgehende Verschiebung des gedank-
5 Im Canon Mnratori finden sie sich noch hinter dem Philemonbrief mit fol-
gender Begründung ihrer „Heiligkeit“ (col. 60ff.): ad Titum una et ad Timotheum
duas pro affectu et dilectione in honorem tarnen ecclesiae cathol icae in orclinationem
ecclesiasticae disciplinae sanctificatae sunt. In den ältesten Sammlungen der Paulus-
briefe fehlen die Pastoralbriefe noch ganz: B. S. Kasten, The Pastoral Epistles
(1948) 31 f. Über die häretische Kritik an den Briefen s. u. Anm. 22.
6 Das heißt natürlich nicht, daß manche Züge in den Briefen auch unter de1'
Voraussetzung ihrer Unechtheit schwer zu erklären sind oder gelegentlich erstaun"
lieh „echt“ wirken. Dies gilt bis zu einem gewissen Grade auch von dem „Fonmr
lar“ der Addressen, dessen weitgehende Verwandtschaft mit den echten Paulus"
briefen jedoch nicht ausreicht, um die Echtheit damit zu sichern; gegen O. Roller-
Das Formular der paulinischen Briefe. Ein Beitrag zur Lehre vom antiken Brief
(1933).
7 Eindeutig erst bei Irenäus im Rahmen seines antihäretischen Hauptwerks,
dessen Titel nach I. Tim. 6, 20 gebildet ist, und bei Klemens von Alexandrien.
Dieser erwähnt die Aversion der Häretiker gegen diese Briefe (u. Anm. 23), und
vielleicht kann auch bei ihm selbst noch „ein leises Nachklingen eines Unterschieds
der Pastoralbriefe von den andern in ihrer ziemlich niederen Rangordnung heraus-