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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1956, 4. Abhandlung): Horaz und die Politik — Heidelberg, 1956

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https://doi.org/10.11588/diglit.42325#0006
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Viktor Pöschl

uns vorliegenden Gedichtbüchern, die als Einheit komponiert sind, neben-
einander erscheinen, also vom Dichter als kontrastierende Bereiche eines
einheitlichen Kosmos aufgefaßt wurden3.
Damit wird nicht geleugnet, daß es bei Horaz Entwicklungen künst-
lerischer, religiöser, politischer Art gegeben habe, von der in die Augen
springenden ganz abgesehen, daß er aus einem Anhänger des Brutus zum
Freund des Maecenas und Augustus wurde. Die Ode 0 navis (c. 1, 14)
ist gewiß Zeugnis eines Wandels. In Abrede gestellt wird nur, daß man
sich seine Entwicklung als eine Abfolge politischer und unpolitischer Pha-
sen vorzustellen habe und daß eine entschiedene Abkehr von einer Hal-
tung, die die politische Welt als etwas Fragwürdiges und Bedrohliches
ansieht, jemals stattgefunden habe. Andererseits kann man das spannungs-
erfüllte Nebeneinander der Bereiche nicht dadurch aus der Welt schaffen,
daß man über die Gegensätze gänzlich hinwegsieht, ebenso wie man
die Treue zu epikureischer Freiheit und Zurückgezogenheit nicht dadurch
als konstantes Element horazischer Lebensanschauung erweisen kann, daß
man die politischen Gedichte einfach zu aufgezwungenen Manifestationen
herabwürdigt. Während man nämlich auf der einen Seite das Nebeneinan-
der, sofern man es überhaupt in seiner Problematik erkannte, durch die
Annahme eines tiefgreifenden, echten Gesinnungswandels in ein Nach-
einander verwandeln wollte, sind — namentlich aus England4 — immer
wieder Stimmen laut geworden, die an der Aufrichtigkeit seiner politischen
Gedichte zweifeln. So vergleicht L. P. Wilkinson in seinem zuerst 1945
erschienenen Werk Horace and his Lyrik Poetry den politischen Dichter
Horaz mit Tennyson, so wie ihn Harold Nicolson in einem Buch gedeutet
hat, das eine glänzende Analyse des viktorianischen Optimismus und seiner
dunklen Hintergründe enthält5. Danach wurde Tennyson, im Grunde sei-
nes Wesens Melancholiker und Pessimist, unter dem Einfluß seiner Freunde
zum Barden des viktorianischen Zeitalters: er setzte sich eine Maske auf,
die seinem wahren Ich nicht entsprach. Ebenso habe Horaz patriotische
Gedichte geschrieben, ‘but his heart was not in it — so I have always
feit’6. Auch Ronald Syme ist von der Ehrlichkeit der politischen Gedichte
des Horaz nicht überzeugt. Er behandelt ihn im Kapitel: The Organi-
zation of Opinion. Das Quo Musa tendis am Ende der 3. Römerode faßt
er als Äußerung des echten Horaz auf7. Umgekehrt formuliert Lothar
Wickert8: „Jedes Wort empfängt seine Prägung von der Ehrlichkeit des
Sprechers“.
Die hier aufgeworfene Frage nach der Aufrichtigkeit des Dichters, die
für unser Thema nicht unerheblich ist, erfordert eine kurze Erörterung. Zu-
nächst: ich glaube nicht, daß es überhaupt möglich ist, den Grad der Auf-
richtigkeit genau zu bestimmen, einmal deshalb, weil es sich hier um ein
sehr komplexes Problem der Persönlichkeitsbeurteilung handelt, das uns
schon bei Menschen unseres näheren Umgangs die größten Schwierig-
 
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