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Pöschl, Viktor; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1956, 4. Abhandlung): Horaz und die Politik — Heidelberg, 1956

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https://doi.org/10.11588/diglit.42325#0015
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Horaz und die Politik

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Orpheus und Amphion sind Allegorien für die kulturbringende, städte-
gründende Macht des Dichters, für seine politische Funktion.
Im übrigen erscheinen die Orte der Seligen auch in der 4. Römerode als
Gleichnis für die Ekstase, die den Dichter zu göttlichen Höhen emporträgt
und mit dem Göttlichen verbindet (3, 4, 6):
videor pios
errare per lucos, amoenae
quos et aquae subeunt et aurae.
Ebenso begleitet Virgil im 5. Cataleptongedicht — ein Gedicht, in dem
ebenfalls eine Lebenswende stilisiert ist, — den Abschied von der Rhetoren-
schule und die Hinwendung zur epikureischen Philosophie mit den Worten:
nos ad beatos vela mittimus portus.
Das aber, was sich hier vollzieht, hat mehr als hundert Jahre später der
Maternus des taciteischen Rednerdialogs, der seiner früheren forensischen
Tätigkeit entsagt, um ganz dem Dichterberuf zu leben — aus einer Situa-
tion heraus, die der der 16. Epode hinsichtlich der Abneigung gegenüber
dem politischen Treiben verwandt ist — mit den Worten ausgedrückt:
,secedit animus in loca pura atque innocentia fruiturque sedibus sacris“
(Tac. Dial. c. 12).
Der Dichter als vates wird zum Geleiter in dieses Reich und gewinnt
damit religiöse, göttliche Würde:
me doctarum hederae praemia frontium
dis miscent superis.
Das ist eine Erneuerung der griechischen Vorstellung von der Gott-
nähe des Dichters und der lucrezischen des Dichters als Erlösers und Be-
freiers, zugleich auch ein Ausdruck der steigenden Welle des Religiösen,
von der die frühaugusteische Zeit ergriffen ist. Wie das römische Kaiser-
tum damals seine religiöse Weihe erfährt, so auch das Dichtertum. Man
kann bei Horaz fast von einer Religion des Dichtertums reden wie bei Pro-
perz von einer Religion der Liebe.
Darin aber, daß Dichtertum und Liebe als die höchsten Sublimierungen
der persönlichen Lebenssphäre ins Religiöse erhoben und als etwas Heili-
ges empfunden werden, spricht sich nichts Geringeres aus als die Verlage-
rung der Daseinsmitte aus der politischen Sphäre in die persönliche, die
ihren Wert und ihre Rechtfertigung unmittelbar vom Göttlichen her be-
zieht. Der große griechische Name aber, der dieser Wendung die philo-
sophische Rechtfertigung gibt, ist Epikur.
 
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