22
Hans Fuhr, von Campenhausen
entsprechend sind alle Versuche, die Taube aus einem Lesefehler
des Urtextes abzuleiten, wie oft genug betont ist, ein müßiger
Scharfsinn49.
Im Gegensatz zu diesen Ausschmückungen zeichnet sich der
echte Bericht vom Sterben Polykarps durch große Schlichtheit aus.
Zwar hat schon der ursprüngliche Erzähler den Wunsch, das Ge-
schehnis als ein „Wunder“ zu schildern; aber er selbst fügt hinzu,
daß es nur von denen bemerkt wurde, „denen es geschenkt ward,
solches zu schauen“, also den Christen, und was nach dieser An-
kündigung mitgeteilt wird, ist auch so noch bescheiden genug. Die
Flamme wölbt sich um Polykarp wie eine Wagenplane, ein Wohl-
geruch verbreitet sich50, und da das Feuer den Leib des Heiligen
nicht verzehren will, muß er schließlich durchbohrt werden, worauf
das Blut in solcher Fülle entströmt, daß das Feuer erlischt51. Man
vergleiche, was das dem Polykarpmartyrium nachgebildete Pionios-
Martyrium an Stelle dessen zu bieten hat!
An den Todesbericht schließt sich heute M 16,2 ein erbaulicher
Lobpreis Polykarps an, den schon Retototg 52 mit Recht ausscheiden
wollte. Der überhängende Nachsatz ist — ausgerechnet an die Er-
wägungen der Heiden — denkbar ungeschickt angeschlossen, und
daß „der höchst bewunderungswürdige Polykarp in diesen unseren
Zeiten ein apostolischer und prophetischer Lehrer und Bischof der
49 Seltsamerweise hat Gregoire S. 14 die lange Konjekturenliste trotz-
dem noch um eine neue (περί στέρνα) vermehrt.
50 Der Text von M 15,2 ist nachträglich aufgefüllt worden: das Fleisch
des Märtyrers wird mit einem Brot verglichen, das gebacken wird, oder mit
Gold und Silber im Schmelzofen. Wieviel davon sekundär ist, bleibt im
einzelnen ungewiß; vgl. Schwartz, De Pionio S. 15; H. Müller, Vorl. Verz.
S. 57ff.; Reuning S. 43f; zum Bild vom gebackenen Brot auch H. Riesen-
feld, Das Brot von den Bergen, Eranos 54 (1956) 148. — Der Wohlgeruch
ist gegen H. Günter, Legenden-Studien (1906) 12 und Sepp, a.a. O. S. 22
natürlich nicht psychologisch, sondern religionsgeschichtlich zu inter-
pretieren: K. Holl, Die Vorstellung vom Märtyrer und die Märtyrerakte
in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Gesamm. Aufs. 2 (1928) 72 Anm. 4;
vgl. E. Lohmeyer, Vom göttlichen Wohlgeruch (1919).
51 Übrigens stimmt dies nicht mit M 18,1 überein, wo der Scheiterhaufen
immer noch zu brennen scheint, und auch nicht ganz mit der Leidensankündi-
gung M 5,2, auf die 12,3 noch einmal verwiesen wird: Polykarp müsse lebend
verbrannt werden. Aber ich möchte auf solche kleineren Unebenheiten, die
sich natürlich auch „erklären“ lassen, kein zu starkes Gewicht legen.
52 A.a.O. S. 21.
Hans Fuhr, von Campenhausen
entsprechend sind alle Versuche, die Taube aus einem Lesefehler
des Urtextes abzuleiten, wie oft genug betont ist, ein müßiger
Scharfsinn49.
Im Gegensatz zu diesen Ausschmückungen zeichnet sich der
echte Bericht vom Sterben Polykarps durch große Schlichtheit aus.
Zwar hat schon der ursprüngliche Erzähler den Wunsch, das Ge-
schehnis als ein „Wunder“ zu schildern; aber er selbst fügt hinzu,
daß es nur von denen bemerkt wurde, „denen es geschenkt ward,
solches zu schauen“, also den Christen, und was nach dieser An-
kündigung mitgeteilt wird, ist auch so noch bescheiden genug. Die
Flamme wölbt sich um Polykarp wie eine Wagenplane, ein Wohl-
geruch verbreitet sich50, und da das Feuer den Leib des Heiligen
nicht verzehren will, muß er schließlich durchbohrt werden, worauf
das Blut in solcher Fülle entströmt, daß das Feuer erlischt51. Man
vergleiche, was das dem Polykarpmartyrium nachgebildete Pionios-
Martyrium an Stelle dessen zu bieten hat!
An den Todesbericht schließt sich heute M 16,2 ein erbaulicher
Lobpreis Polykarps an, den schon Retototg 52 mit Recht ausscheiden
wollte. Der überhängende Nachsatz ist — ausgerechnet an die Er-
wägungen der Heiden — denkbar ungeschickt angeschlossen, und
daß „der höchst bewunderungswürdige Polykarp in diesen unseren
Zeiten ein apostolischer und prophetischer Lehrer und Bischof der
49 Seltsamerweise hat Gregoire S. 14 die lange Konjekturenliste trotz-
dem noch um eine neue (περί στέρνα) vermehrt.
50 Der Text von M 15,2 ist nachträglich aufgefüllt worden: das Fleisch
des Märtyrers wird mit einem Brot verglichen, das gebacken wird, oder mit
Gold und Silber im Schmelzofen. Wieviel davon sekundär ist, bleibt im
einzelnen ungewiß; vgl. Schwartz, De Pionio S. 15; H. Müller, Vorl. Verz.
S. 57ff.; Reuning S. 43f; zum Bild vom gebackenen Brot auch H. Riesen-
feld, Das Brot von den Bergen, Eranos 54 (1956) 148. — Der Wohlgeruch
ist gegen H. Günter, Legenden-Studien (1906) 12 und Sepp, a.a. O. S. 22
natürlich nicht psychologisch, sondern religionsgeschichtlich zu inter-
pretieren: K. Holl, Die Vorstellung vom Märtyrer und die Märtyrerakte
in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Gesamm. Aufs. 2 (1928) 72 Anm. 4;
vgl. E. Lohmeyer, Vom göttlichen Wohlgeruch (1919).
51 Übrigens stimmt dies nicht mit M 18,1 überein, wo der Scheiterhaufen
immer noch zu brennen scheint, und auch nicht ganz mit der Leidensankündi-
gung M 5,2, auf die 12,3 noch einmal verwiesen wird: Polykarp müsse lebend
verbrannt werden. Aber ich möchte auf solche kleineren Unebenheiten, die
sich natürlich auch „erklären“ lassen, kein zu starkes Gewicht legen.
52 A.a.O. S. 21.