Bearbeitungen und Interpolationen des Polykarpmartyriums 27
entwickelt waren; aber nach dem Hinzutreten der Juden hängt das
Partizipium jetzt in der Luft, oder es muß auf das im vorausliegen-
den Nebensatz ol καί έτηρησαν enthaltene Subjekt, also auf die
Juden selber bezogen werden, für die es noch schlechter passen
würde als für die Heiden. Der Text kann an dieser Stelle nicht ur-
sprünglich sein68, und man versteht es, daß zwei Handschriften das
ganze mit άγνοονντες beginnende Stück bis zum Ende des Kapitels
gestrichen und erst 19,2 wieder angehängt haben, wo es, mit einer
Doxologie verknüpft, den Abschluß des ganzen Martyriums bildet.
Aber auch dies ist natürlich nicht das Ursprüngliche, sondern nur
ein verzweifelter Versuch, den durch die Interpolationen heillos
verdorbenen Text nachträglich in eine etwas bessere Ordnung zu
bringen.
Betrachten wir nun das Inhaltliche. Die theologisch betonte
Vorstellung eines μαθητής (συμμαθητής) und μιμητής, der reflektierte
Gegensatz von Anbetung (προσκννεΐν) und bloßer verehrender Liebe
(αγαπάν), mit denen der Einschub arbeitet, sind dem Martyrium
sonst fremd, und auch der erbaulich weitschweifige Stil verrät den
Interpolator: „Sie verstehen nicht, daß wir es niemals über uns
bringen könnten, Christum zu verlassen, ihn, der gelitten hat für
das Heil der Geretteten in aller Welt, der Unschuldige für die
Sünder69, noch einen anderen sonst zu verehren. Denn diesen, den
Sohn Gottes, beten wir an; die Märtyrer aber lieben wir in rechter
Weise als Jünger und Nachahmer des Herrn wegen der unüberbiet-
baren Zuneigung, die sie selbst ihrem König und Lehrer erwiesen
haben. Möchten auch wir mit ihnen Gemeinschaft haben und ihre
Mit jünger werden!“ Das ist trotz des predigenden Tons ein lehrhaft-
polemischer Text, dem das Verhältnis der Märtyrerverehrung zum
Christuskult offenbar schon Problem geworden ist, ja der sich mit
seinen Unterscheidungen und Erklärungen schon darum bemühen
muß, Einwände aus dem Felde zu schlagen. Im ursprünglichen Text
des Briefes können diese Sätze, wie wir zunächst mit Hilfe äußerer
Kriterien gezeigt haben, nicht gestanden haben70. Aber wann ist er
68 Er käme auch durch eine Streichung der von den Juden handelnden
Partie nicht in Ordnung; denn auch dann noch bliebe daspluralische άγνοονντες
ohne ein einleuchtendes Beziehungswort.
69 Diese Erweiterung αμωμον υπέρ άμαρτωλών fehlt noch bei Eusebios,
HE IY 15,41.
70 Sie fehlen auch in den o. S. 12 Anm. 25 genanntenKleopas-Fragmenten.
entwickelt waren; aber nach dem Hinzutreten der Juden hängt das
Partizipium jetzt in der Luft, oder es muß auf das im vorausliegen-
den Nebensatz ol καί έτηρησαν enthaltene Subjekt, also auf die
Juden selber bezogen werden, für die es noch schlechter passen
würde als für die Heiden. Der Text kann an dieser Stelle nicht ur-
sprünglich sein68, und man versteht es, daß zwei Handschriften das
ganze mit άγνοονντες beginnende Stück bis zum Ende des Kapitels
gestrichen und erst 19,2 wieder angehängt haben, wo es, mit einer
Doxologie verknüpft, den Abschluß des ganzen Martyriums bildet.
Aber auch dies ist natürlich nicht das Ursprüngliche, sondern nur
ein verzweifelter Versuch, den durch die Interpolationen heillos
verdorbenen Text nachträglich in eine etwas bessere Ordnung zu
bringen.
Betrachten wir nun das Inhaltliche. Die theologisch betonte
Vorstellung eines μαθητής (συμμαθητής) und μιμητής, der reflektierte
Gegensatz von Anbetung (προσκννεΐν) und bloßer verehrender Liebe
(αγαπάν), mit denen der Einschub arbeitet, sind dem Martyrium
sonst fremd, und auch der erbaulich weitschweifige Stil verrät den
Interpolator: „Sie verstehen nicht, daß wir es niemals über uns
bringen könnten, Christum zu verlassen, ihn, der gelitten hat für
das Heil der Geretteten in aller Welt, der Unschuldige für die
Sünder69, noch einen anderen sonst zu verehren. Denn diesen, den
Sohn Gottes, beten wir an; die Märtyrer aber lieben wir in rechter
Weise als Jünger und Nachahmer des Herrn wegen der unüberbiet-
baren Zuneigung, die sie selbst ihrem König und Lehrer erwiesen
haben. Möchten auch wir mit ihnen Gemeinschaft haben und ihre
Mit jünger werden!“ Das ist trotz des predigenden Tons ein lehrhaft-
polemischer Text, dem das Verhältnis der Märtyrerverehrung zum
Christuskult offenbar schon Problem geworden ist, ja der sich mit
seinen Unterscheidungen und Erklärungen schon darum bemühen
muß, Einwände aus dem Felde zu schlagen. Im ursprünglichen Text
des Briefes können diese Sätze, wie wir zunächst mit Hilfe äußerer
Kriterien gezeigt haben, nicht gestanden haben70. Aber wann ist er
68 Er käme auch durch eine Streichung der von den Juden handelnden
Partie nicht in Ordnung; denn auch dann noch bliebe daspluralische άγνοονντες
ohne ein einleuchtendes Beziehungswort.
69 Diese Erweiterung αμωμον υπέρ άμαρτωλών fehlt noch bei Eusebios,
HE IY 15,41.
70 Sie fehlen auch in den o. S. 12 Anm. 25 genanntenKleopas-Fragmenten.