Metadaten

Campenhausen, Hans; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1958, 2. Abhandlung): Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab — Heidelberg, 1958

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42457#0051
Lizenz: In Copyright
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Der Ablauf der Osterereignisse und das leere Grab

49

Christus, heißt es, befindet sich bereits dorthin unterwegs — es wird das
Präsens gebraucht —, und die Jünger sollen ihm unverzüglich nachfolgen,
um ihn dort zu schauen194. Die Engelbotschaft ist als solche gewiß legen-
darisch; aber schildert sie die Situation nicht trotzdem genau so, wie sie
wirklich gewesen ist? Hier ist nun m. E. die Stelle erreicht, wo man die
Entdeckung des leeren Grabes heranziehen und ihre Rolle erwägen muß.
Denn daß die Nachricht, wenn die Jünger noch in Jerusalem waren, diese
auch erreicht hat, läßt sich, wie wir gesehen haben, kaum ernsthaft be-
zweifeln; die entgegengesetzte, tendenziöse Behauptung des Markus ist
sekundär und kommt nach dem Text der Engelbotschaft selbst so wenig
in Betracht, wie sie bei den übrigen Evangelisten festgehalten wird195.
Es ist klar, daß die Nachricht, mitten in die ratlose und deprimierte
Stimmung der Zurückgebliebenen einschlagend, eine erregende Wirkung
hervorrufen mußte. In unserer Überlieferung besteht zwar, wie wir ge-
sehen haben196, eine zunehmende Neigung, diese Wirkung aus bestimm-
ten Gründen abzuschwächen; aber sie kann nicht ausgeblieben sein. Viel-
leicht war sie zunächst in der Tat nicht eindeutig. Es ist durchaus denk-
bar, daß das leere Grab nicht ohne weiteres als ein sicherer Beweis für die
„Auferstehung“ genommen wurde und daß sich auch Zweifel und Un-
sicherheit zum Wort meldeten. Aber der Befund konnte auch so verstanden
werden, wie ihn die Worte des Engels umschreiben: „Er ist auferweckt
worden — (denn) er ist (ja) nicht (mehr) hier!“ Wer diese Deutung an-
nehmen wollte, für den ergaben sich die weiteren Folgerungen von selbst.
Wo sollte Jesus jetzt noch zu finden sein? Jerusalem, die gottlose Groß-
stadt seiner Feinde, die Stadt, wo er verfolgt und ans Kreuz geschlagen
war, war für sein Wiedererscheinen in der Tat nicht der gegebene Ort.
Er mußte in die Heimat gezogen sein, nach Galiläa, wo er gewirkt hatte,
wo er seine Anhängerschaft besaß, wo er und alle Jünger zu Hause wa-
ren197, das heilige Land ihrer Erinnerung und nunmehr auch ihrer Hoff-
nen“; vgl. hierzu Rengstorf S. 44ff.; Michaelis, Kittels Theol. Wörterb. 5
[1954] 358ff.). Über den jeweiligen Inhalt dieses Sehens entscheidet der Zu-
sammenhang. Eine besondere, „technische“ Bedeutung des Wortes im Sinne
der Parusie läßt sich keinesfalls behaupten; so auch Michaelis, Erscheinungen
S. 138 Anm. 58; Marxsen S. 53f. Daß die Hoffnung der nach Galiläa wallen-
den Jünger ursprünglich nicht nur auf ein Wiedersehen, sondern auf die
Parusie des Herrn selbst gerichtet war, ist denkbar. Aber daß unsere heutige
Überlieferung, die sich auf Grund der ersten und offenbar anders verlaufenen
Erscheinungen geformt hat, von dieser eventuellen früheren Erwartung noch
eine Spur bewahrt haben sollte, erscheint ausgeschlossen.
194 S. o. S. 238.
195 Wer der Meinung ist, diese Botschaft habe gerade den Zweck, die in Wirk-
lichkeit stattgehabte Flucht umzudeuten und zuzudecken, urteilt auf Grund
einer vorgefaßten Meinung und nicht des Textes selbst.
196 0. S. 39f.
187 Vgl. Mk. 14, 70 par. und noch Act. 1, 11; 2, 7; 13, 31.

4 Frhr. v. Campenhausen, Der Ablauf der Osterereignisse
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften