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Schadewaldt, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1959, 2. Abhandlung): Neue Kriterien zur Odyssee-Analyse: die Wiedererkennung des Odysseus und der Penelope — Heidelberg, 1959

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https://doi.org/10.11588/diglit.42460#0010
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Wolfgang Schadewaldt

maßen unreflektierte Stilbetrachtung bot, vor allem wenn sie un-
mittelbar wertend betrieben wurde, dem Subjektiven gar zu viel
Spielraum. Man sah zu wenig, daß es noch einer langen und unvor-
eingenommenen Observation bedarf1, ehe wir in den Dingen des
Stils eines Autors zu objektiven Urteilen gelangen können.
Wieder ein anderer Weg, den man versucht hat, steht im Zusam-
menhang mit jenen ,geistesgeschichtlichen1 Bestrebungen, die sich in
Deutschland vor allem nach dem ersten Weltkrieg in der Philologie
bemerkbar gemacht haben. Man ging davon aus, daß Dichter wie
überhaupt produktive Geister sich vor allem durch ihre geschichtlich
bedingten Intentionen ausweisen müßten. Und so hat man auch in
der Odyssee das Ältere und das Jüngere nach gewissen rechtlichen,
religiösen, weltanschaulichen Tendenzen zu unterscheiden gesucht.
Ich glaube, daß dieser Weg ein guter Weg ist2. Nur sind auch diese
geistes-physiognomischen Betrachtungen rein an sich selbst zu allge-
mein, um überzeugende Text-Analysen darauf zu gründen. Erst
wenn auf dem Wege einer unmittelbaren Textbetrachtung das
Ältere und das Jüngere in einer Dichtung sicher geschieden sind,
kann der Aufweis der weltanschaulichen Intentionen, in zweiter
Instanz, als Bestätigung ungemein wichtig werden.
In dieser Lage der Dinge bin ich in meinen Bemühungen um ein
adaequates Verständnis der Odyssee auf einen wieder anderen Weg
gekommen. Ich wurde unfreiwillig auf ihn gedrängt. Nachdem sich
mir, rein als Interpreten, die dichterische Einheit der Ilias (mit Aus-
nahme der Dolonie und selbstverständlich anzuerkennender ,Inter-
polationen1) erwiesen hatte, war ich zunächst auch für die Odyssee
auf eine ähnlich unitarische Lösung ausgegangen. Doch stieß ich bei
dem Studium des Gedichts auf eine solche Fülle von Schwierigkeiten,
daß ich mich nolens volens zur Analyse genötigt sah. Auf der ande-
ren Seite stand mir fest, daß eine sachgemäße Analyse von Dichtung
mit allen ihren negativen Manipulationen schließlich doch positiv
der Dichtung dienen müsse. Es ging darum — eine scheinbare con-
1 Eine solche hat in mustergültiger Weise für die ersten vier Bücher der Odyssee
Friedrich Klingner geleistet, Berichte der sächsischen Akademie der Wissen-
schaften zu Leipzig, Bd. 96, 1944, H. 1.
2 Ihn haben, unabhängig voneinander, Werner Jaeger ,Solons Eunomie1,
Sitzungsberichte der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1926, 73 ff., und
Rudolf Pfeiffer in seiner wichtigen Besprechung der Odysseebücher von
U. v. Wilamowitz und Eduard Schwartz, Deutsche Literatur-Zeitung 1928,
Sp. 2364 f., gewiesen.
 
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