Metadaten

Schadewaldt, Wolfgang; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1959, 2. Abhandlung): Neue Kriterien zur Odyssee-Analyse: die Wiedererkennung des Odysseus und der Penelope — Heidelberg, 1959

DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42460#0013
License: In Copyright
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Neue Kriterien zur Odyssee-Analyse

11

wandt, doch erscheint es mir, um mich recht verständlich zu machen,
notwendig, das Verfahren selbst an einem besonders geeigneten
Beispiel vorzuführen. Zu diesem Zweck sei die Wiedererkennung
des Odysseus mit Penelope im dreiundzwanzigsten Gesang der
Odyssee herausgegriffen, die in ihrem gegenwärtigen überlieferten
Zustand wohl als die grundlegendste Fundamentalstelle einer Ana-
lyse der Odyssee gelten mag.

2.
In der Erzählung der Wiedererkennung des Odysseus und der
Penelope ist es höchst auffällig, wie das Gespräch zwischen Odysseus
und Penelope, das später zur Erwähnung des Bettes des Odysseus
und damit zur Wiedererkennung führt, von einer Digression unter-
brochen wird, die über fünfzig Verse lang ist. Mitten in diesem Ge-
spräch der beiden Gatten fordert Odysseus bei V. 117 den Tele-
machos auf, mit ihm zusammen zu beraten, was nun des weiteren zu
tun sei. Telemachos als wohlerzogener Sohn überläßt die Entschei-
dung der bekannten überlegenen Einsicht seines Vaters. Odysseus
schlägt vor, daß die Hausleute sich waschen und frische Kleider an-
ziehen, der Sänger zum Tanz aufspielen und alles tanzen soll, so als
ob Penelope nun ihre Elochzeit halte. Am nächsten Tage aber wol-
len sie auf das Landgut gehen (wo der alte Laertes lebt) und dann
dort Zusehen, welche weiteren Vorteile ihnen der Olympier ge-
währen wird. Die Digression berichtet weiter, wie die Hausleute
sich waschen, neu bekleiden und zum Spiel des Sängers im Hause
tanzen, und die Leute auf den Straßen wirklich sagen, daß also die
Königin Hochzeit halte. Und weiter wird in der Digression erzählt,
wie auch Odysseus sich badet, salbt und Mantel und Leibrock an-
legt, wie er dem Bade wunderbar verschönt entsteigt und nun zu
Penelope in die Halle zurückkehrt und sodann das so lange unter-
brochene Gespräch mit der Gattin fortsetzt, das dann alsbald zur
Erwähnung des Bettes des Odysseus und damit zur Anerkennung
des Odysseus durch die Frau führt. Schon A. Kirchhoff hat diese
Digression als so störend empfunden, daß er sie nur als das Ein-
schiebsel eines höchst ungeschickten Bearbeiters begreifen konnte.
Die Kriterien waren jene negativen Kriterien, von denen wir ein-
leitend gesprochen haben: kein notwendiges Herauswachsen‘ der
Digression aus der vorliegenden Situation, keine natürliche Ent-
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften