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Wolf gang Schadewaldt
ken Lenden (18,74). ,Groß und stämmig4 (geyaS t]8’ etkqyrig) nennt
ihn Penelope im einundzwanzigsten Gesang (334), im gleichen Alter
wie Odysseus erscheint er ihr bei der Fußwaschung (19,358), und
weder Eurykleia bei der Fußwaschung noch die beiden treuen Flir-
ten, denen Odysseus sich zu erkennen gibt (21, 221 ff.), noch auch die
Freier nach seinem Schuß auf Antinoos zweifeln im geringsten an
ihm, weil er ein greisenhafter Bettler sei. Zumal am Ende des
Freiermords steht er groß da und wird auch von dem ihm treuen
Pfausgesinde ohne eine Spur des Zweifels anerkannt. Ich denke, es
war ein weiser Griff des originalen Dichters, den Odysseus allein
durch den Fortgang des Geschehens über den Bettler hinauswachsen
zu lassen. Die äußerliche Rückverwandlung wäre nach allem, was
inzwischen geschehen war, nur ein lästiges Detail gewesen21, und
das Ganze wird zu einem guten Beispiel dafür, wie die Dichtung
manchmal eben mit eigenem Recht ihren Weg fernab von den Postu-
laten des berechnenden Verstandes nehmen kann.
Des weiteren bezeichnet es unseren Bearbeiter, wie er den Tele-
machos am Beginn der Einlage (124 ff.) als wohlerzogenen Sohn sei-
nes Vaters erscheinen läßt. Der Bearbeiter hält auch sonst auf gute
Erziehung und Schicklichkeit; er schreibt in seiner Bearbeitung
geradezu einen Adelsspiegel.
Und endlich ist auch das ganz seine Art, wie er den Odysseus die
etwaigen politischen Folgen des Freiermords bedenken läßt: den
erschlagenen Freiern würden in Ithaka zahlreiche Rächer erstehen
(23, 118 ff.). — Dem Verfasser der originalen ,FIeimkehr des Odys-
seus4 liegt ein solches Reflektieren auf die reale politische Welt da
draußen durchaus fern. Er verfolgt in seiner Gestaltung das ein-
fache menschliche Heimkehrthema, versammelt alles um die großen
Hauptgestalten. Der Bearbeiter denkt weiter, verdeutlicht sich die
äußeren Konsequenzen und zieht die politische Welt mit Vorliebe
herein.
Er ist im ganzen ein hochinteressanter Mann, und da er mir per-
sönlich im Lauf meiner Arbeit ein guter Bekannter geworden ist, so
würde ich bereits hier gern länger bei ihm verweilen. Doch muß es
für den Augenblick genügen, seine Art mit einigen Strichen zu um-
reißen.
Die große, unmittelbare Gestaltungskraft seines Vorgängers geht
21 Vgl. Von der Mühll 736 „A konnte auf Ausschlachtung des Motivs verzich-
ten“; vgl. auch 761.
Wolf gang Schadewaldt
ken Lenden (18,74). ,Groß und stämmig4 (geyaS t]8’ etkqyrig) nennt
ihn Penelope im einundzwanzigsten Gesang (334), im gleichen Alter
wie Odysseus erscheint er ihr bei der Fußwaschung (19,358), und
weder Eurykleia bei der Fußwaschung noch die beiden treuen Flir-
ten, denen Odysseus sich zu erkennen gibt (21, 221 ff.), noch auch die
Freier nach seinem Schuß auf Antinoos zweifeln im geringsten an
ihm, weil er ein greisenhafter Bettler sei. Zumal am Ende des
Freiermords steht er groß da und wird auch von dem ihm treuen
Pfausgesinde ohne eine Spur des Zweifels anerkannt. Ich denke, es
war ein weiser Griff des originalen Dichters, den Odysseus allein
durch den Fortgang des Geschehens über den Bettler hinauswachsen
zu lassen. Die äußerliche Rückverwandlung wäre nach allem, was
inzwischen geschehen war, nur ein lästiges Detail gewesen21, und
das Ganze wird zu einem guten Beispiel dafür, wie die Dichtung
manchmal eben mit eigenem Recht ihren Weg fernab von den Postu-
laten des berechnenden Verstandes nehmen kann.
Des weiteren bezeichnet es unseren Bearbeiter, wie er den Tele-
machos am Beginn der Einlage (124 ff.) als wohlerzogenen Sohn sei-
nes Vaters erscheinen läßt. Der Bearbeiter hält auch sonst auf gute
Erziehung und Schicklichkeit; er schreibt in seiner Bearbeitung
geradezu einen Adelsspiegel.
Und endlich ist auch das ganz seine Art, wie er den Odysseus die
etwaigen politischen Folgen des Freiermords bedenken läßt: den
erschlagenen Freiern würden in Ithaka zahlreiche Rächer erstehen
(23, 118 ff.). — Dem Verfasser der originalen ,FIeimkehr des Odys-
seus4 liegt ein solches Reflektieren auf die reale politische Welt da
draußen durchaus fern. Er verfolgt in seiner Gestaltung das ein-
fache menschliche Heimkehrthema, versammelt alles um die großen
Hauptgestalten. Der Bearbeiter denkt weiter, verdeutlicht sich die
äußeren Konsequenzen und zieht die politische Welt mit Vorliebe
herein.
Er ist im ganzen ein hochinteressanter Mann, und da er mir per-
sönlich im Lauf meiner Arbeit ein guter Bekannter geworden ist, so
würde ich bereits hier gern länger bei ihm verweilen. Doch muß es
für den Augenblick genügen, seine Art mit einigen Strichen zu um-
reißen.
Die große, unmittelbare Gestaltungskraft seines Vorgängers geht
21 Vgl. Von der Mühll 736 „A konnte auf Ausschlachtung des Motivs verzich-
ten“; vgl. auch 761.