Neue Kriterien zur Odyssee-Analyse
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des Göttlichen ist sein Thema. Dem lediglich Interessanten läuft er
nicht nach. Als Dichter ist er vor allem ein großer Seher, Seher des
Seienden. Er redet niemals nur, er bildet, bildet Gestalten, Situatio-
nen, Geschehensläufe, die alle eine unwillkürliche Plastik haben.
Sein vornehmstes Gestaltungsmittel ist die ,Szene1, in der in spar-
samster Beschränkung meist zwei oder allenfalls drei Figuren oder
darüber hinaus geschlossene Gruppen in plastischen Konstellationen
zueinander treten. Und diese Zwei- oder Dreifiguren-Szenen bilden
in seiner Dichtung einen Fries, den man mit einem Metopen-Fries
vergleichen könnte. Sein dichterischer Hauptgedanke war, daß er
die altüberkommenen Abenteuererzählungen von Odysseus, dem
Irrfahrer, entschieden unter den Aspekt der Heimkehr rückte. Sein
Gedicht ist das Gedicht von der ,Heimkehr des Odysseus1, so wie er
dieses Thema am Ende des Götter-Prooimions selber angibt:
voatov ’Oö'uaafiog taXaaicpgovog, cog xe verixai (1,87).
Diese Heimkehr nach schwer erlittener Ferne ist ein menschliches
Grundmotiv, in dem die doppelte Bedingtheit des Menschen, durch
das Heim und die Welt, sich ausdrückt. Und indem der Dichter
diesen Gedanken der Heimkehr zur Dominante seines Gedichtes
machte, gewann er, im Sinne einer Super-Struktur, den alten kon-
kreten Abenteuern eine Fülle neuer geistig-menschlicher Abenteuer
ab, eine Fülle erstaunlicher Begegnungen des Menschen mit der
elementaren Natur, mit anderen Menschen, mit sich selbst. Den
Gedanken des Nostos hat unser Dichter damit weit über die Nostoi
des epischen Kreises hinausgeführt, und er gestaltete dies alles zu
einer Struktur von einfachstem Gefüge.
Zu Beginn der Götterrat, in dem die Götter die Heimkehr des
Umgetriebenen beschließen. In unmittelbarer Korrelation damit die
Entscheidung des Odysseus bei jenem Nachtmahl mit Kalypso, nach
Hause zurückzukehren, auch wenn er noch einmal auf dem Meere
scheitern sollte. Im weiteren Gang des Gedichts sodann zweimal ein
Abstieg in die Not, die Entblößung, die Unbekanntheit, Niedrigkeit,
und zweimal ein Aufstieg zur Anerkennung der eigenen Person,
oder — mehr griechisch gesprochen — der eigenen Ehre. Der erste
Absturz geschieht in jenem Seesturm, der den Odysseus entblößt,
entkräftet an das Gestade des Phaiakenlandes wirft. Bei den Phaia-
ken dann durch Nausikaa, durch die Aufnahme in der Königshalle
durch die Königin Arete und schließlich die Beschenkung durch die
Fürsten im dreizehnten Gesang der erste Aufstieg zur Anerkennung
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des Göttlichen ist sein Thema. Dem lediglich Interessanten läuft er
nicht nach. Als Dichter ist er vor allem ein großer Seher, Seher des
Seienden. Er redet niemals nur, er bildet, bildet Gestalten, Situatio-
nen, Geschehensläufe, die alle eine unwillkürliche Plastik haben.
Sein vornehmstes Gestaltungsmittel ist die ,Szene1, in der in spar-
samster Beschränkung meist zwei oder allenfalls drei Figuren oder
darüber hinaus geschlossene Gruppen in plastischen Konstellationen
zueinander treten. Und diese Zwei- oder Dreifiguren-Szenen bilden
in seiner Dichtung einen Fries, den man mit einem Metopen-Fries
vergleichen könnte. Sein dichterischer Hauptgedanke war, daß er
die altüberkommenen Abenteuererzählungen von Odysseus, dem
Irrfahrer, entschieden unter den Aspekt der Heimkehr rückte. Sein
Gedicht ist das Gedicht von der ,Heimkehr des Odysseus1, so wie er
dieses Thema am Ende des Götter-Prooimions selber angibt:
voatov ’Oö'uaafiog taXaaicpgovog, cog xe verixai (1,87).
Diese Heimkehr nach schwer erlittener Ferne ist ein menschliches
Grundmotiv, in dem die doppelte Bedingtheit des Menschen, durch
das Heim und die Welt, sich ausdrückt. Und indem der Dichter
diesen Gedanken der Heimkehr zur Dominante seines Gedichtes
machte, gewann er, im Sinne einer Super-Struktur, den alten kon-
kreten Abenteuern eine Fülle neuer geistig-menschlicher Abenteuer
ab, eine Fülle erstaunlicher Begegnungen des Menschen mit der
elementaren Natur, mit anderen Menschen, mit sich selbst. Den
Gedanken des Nostos hat unser Dichter damit weit über die Nostoi
des epischen Kreises hinausgeführt, und er gestaltete dies alles zu
einer Struktur von einfachstem Gefüge.
Zu Beginn der Götterrat, in dem die Götter die Heimkehr des
Umgetriebenen beschließen. In unmittelbarer Korrelation damit die
Entscheidung des Odysseus bei jenem Nachtmahl mit Kalypso, nach
Hause zurückzukehren, auch wenn er noch einmal auf dem Meere
scheitern sollte. Im weiteren Gang des Gedichts sodann zweimal ein
Abstieg in die Not, die Entblößung, die Unbekanntheit, Niedrigkeit,
und zweimal ein Aufstieg zur Anerkennung der eigenen Person,
oder — mehr griechisch gesprochen — der eigenen Ehre. Der erste
Absturz geschieht in jenem Seesturm, der den Odysseus entblößt,
entkräftet an das Gestade des Phaiakenlandes wirft. Bei den Phaia-
ken dann durch Nausikaa, durch die Aufnahme in der Königshalle
durch die Königin Arete und schließlich die Beschenkung durch die
Fürsten im dreizehnten Gesang der erste Aufstieg zur Anerkennung