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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1960, 1. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung — Heidelberg, 1960

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https://doi.org/10.11588/diglit.42461#0016
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Karl Engisch:

nehmen muß von einer genauen Aufklärung dessen, was „Subsum-
tion unter das Gesetz“ heißt, also von einer Untersuchung, auf die
wir gerade dann geführt werden, wenn wir nunmehr das Thema der
folgenden Blätter in Angriff nehmen: die Herleitung und Begrün-
dung des konkreten Sollensurteils aus dem Gesetz. Dieses Thema
soll allerdings — wie hier gleich bemerkt sei — nicht erschöpfend
behandelt werden. Die Konkretisierung der im Gesetz möglicher-
weise nicht genau bestimmten Rechtsfolge soll nicht Gegenstand
unserer Betrachtung sein, wie wir überhaupt die Sonderprobleme
des „richterlichen Ermessens“ nicht behandeln wollen. Bedenken
wir, daß nach dem vorhin Gesagten auch die Zubereitung des ge-
setzlichen Obersatzes im Einzelnen nicht zum eigentlichen Thema
dieser Arbeit gehört, so können wir auch sagen: Unser Interesse
gilt an dieser Stelle im Wesentlichen dem „Untersatz“ des juristi-
schen Schlusses und nur in diesem Sinne der „Begründung des kon-
kreten juristischen Sollensurteils aus dem Gesetz“. Doch greifen
wir mit diesen Formulierungen bereits vor.
In logischen Dingen muß man subtil sein. Diese Subtilität er-
scheint uns sofort insofern geboten, als wir die Ausdrucksweise
„Begründung des konkreten juristischen Sollensurteils aus dem Ge-
setz“ nur als Bequemlichkeitsausdruck gebraucht haben und pas-
sieren lassen können, uns im übrigen aber klar darüber sein müssen,
daß ein konkretes Sollensurteil, das Anspruch auf Wahrheit erhebt,
nicht unmittelbar aus dem Gesetz als aus einem staatlichen Befehl
bzw. als aus einem Inbegriff von Befehlen begründet werden kann.1
Vielmehr müssen diese Gesetzesbefehle, die Imperative, ihrerseits
erst in (regelmäßig generelle) Sollensurteile umgewandelt werden,
damit sie zur Begründung dienen können. An die Stelle der Im-
perative: „Du sollst nicht töten!“ und „Wer vorsätzlich und aus
Mordlust usw. einen Menschen getötet hat, soll als Mörder mit dem
Tode bestraft werden!“ treten so z. B. die generellen Urteile:
„Nach deutschem Recht soll man nicht töten“ und „Wer vorsätz-
lich und aus Mordlust usw. einen Menschen getötet hat, soll nach
deutschem Strafrecht, nämlich nach § 211 i. d. F. vom 4. 9. 41 als

1 Die damit vertretene „Imperativentheorie“ kann ich hier nicht näher
entwickeln. Ich habe mich zu ihr bereits in meiner nur im Auszug gedruckten
Dissertation „Die Imperativentheorie“, Gießen 1923, bekannt. Über die Not-
wendigkeit der Umwandlung von Imperativen in Urteile bei Schlußfolgerungen
s. auch Radbruch, Der Handlungsbegriff, 1903, S. 14 und die dort Angeführ-
ten.
 
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