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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1960, 1. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung — Heidelberg, 1960

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https://doi.org/10.11588/diglit.42461#0024
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Karl Engisch:

Dabei genügt gewöhnlich nicht eine einfache Verwandlung des Im-
perativs in ein Urteil, sondern es bedarf meist gedanklicher Opera-
tionen, um den für die Ableitung des konkreten Sollensurteils ge-
eigneten Obersatz aus dem Gesetz zu gewinnen. Der Obersatz muß
vermittels Auslegung oder sonstiger hier nicht näher zu behan-
delnder Methoden aus dem Gesetz entwickelt werden. Außerdem
muß er regelmäßig erst aufgebaut werden aus eventuell weit zer-
streuten Gesetzesvorschriften1. Beides können wir wieder an § 211
StGB, studieren. Zur Beurteilung eines konkreten Falles genügt
hier nicht die Umwandlung der Gesetzesvorschrift (,,Der Mörder
wird mit dem Tode bestraft“) in ein Sollensurteil („Nach § 211
StGB, gilt: Der Mörder soll mit dem Tode bestraft werden“). Denn
zunächst müssen wir einmal wissen, wer eigentlich ein Mörder ist.
Und Hand in Hand mit der Aufklärung des Begriffs „Mörder“
müssen wir andere Gesetzesvorschriften heranziehen. So gelangen
wir etwa zu einem Obersatz wie diesem: „Der zurechnungsfähige
Mensch (wozu §§ 51, 58 StGB, und JGG.), der ohne Rechtferti-
gungsgrund (wie z. B. Notwehr, § 53 StGB.) und ohne Entschul-
digungsgrund (wie z. B. Notstand, § 54 StGB.) einen andern Men-
schen vorsätzlich (§ 59 StGB.) tötet und dabei aus Mordlust usw.
handelt, soll als Mörder mit dem Tode bestraft werden“. Wieweit
dabei die Ergänzung aus anderen für sich mehr oder minder un-
selbständigen Gesetzessätzen geht, wird schon mitbestimmt durch
den besonderen Fall, den es zu beurteilen gilt. So werde ich die
Notwehr im Obersatz nur erwähnen, wenn der konkrete Fall, für
den das Sollensurteil gewonnen werden soll, irgendwie einen Hin-
weis auf die Möglichkeit einer Notwehr enthält. Damit erhebt sich
natürlich wieder eine logische Frage2. Handelt es sich hier nicht
um einen Zirkel? Einerseits werden nur diejenigen Momente in
den Obersatz einbezogen, für die der konkrete Lebensfall die Heran-
ziehung anregt, andererseits soll ja der konkrete Lebensfall erst
anhand der juristischen Obersätze beurteilt, innerhalb seiner das
Wesentliche vom Unwesentlichen geschieden werden (sodaß z. B.
bei einem konkreten Mord unwesentlich ist, ob das Opfer ein krebs-
leidender Mensch war, der sowieso in Kürze gestorben wäre; der
Obersatz stellt eben auf dieses Moment nicht ab). Zugespitzt: Für
1 Hierzu Engisch, Einheit der Rechtsordnung, 1935, S. 26 ff.; außer-
dem Stammler, Theorie der Rechtswissensch., 1911. S. 659ff.
2 S. dazu auch Bierling, a.a.O., S. 46/47; Rumpf, Der Strafrichter I,
1912, S. 160ff.. S. 207 f.
 
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