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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1960, 1. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung — Heidelberg, 1960

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https://doi.org/10.11588/diglit.42461#0063
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Logische Studien zur Gesetzesanwendung

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und brauchen als Juristen nur darauf hinzuweisen, daß eine Wirk-
lichkeit, ein Tatsachenkomplex ohne Beweisbarkeit für uns über-
haupt nicht in Frage kommt1. Jeder Beweis wird aber mit Hilfe von
,,Beweismitteln“ geführt und das heißt mit Hilfe entweder von
„Augenscheinsobjekten“, genauer „Wahrnehmungsobjekten“, oder
von Urkunden und Aussagepersonen, die über das Beweisthema
(und das will im Grunde wieder sagen: über Wahrnehmungen und
seelische Vorgänge) in sinnlich wahrnehmbarer Weise berichten (Ge-
naueres hierüber später). Wirklich ist also in der Tat nur, was uns
irgendwie durch äußere oder innere Wahrnehmung und für vergan-
gene Erlebnisse auch durch Erinnerung2 als tatsächlich vorhanden
oder geschehen unmittelbar oder mittelbar verbürgt ist.
Wir wollen damit nicht bestreiten, daß wir das „Wirkliche“ auf
Grund unserer Wahrnehmungen und Erinnerungen irgendwie in die
Zeit, in den Raum und in den universalen Wirkenszusammenhang
einordnen. Ohne weiteres ist zuzugeben, daß ohne eine solche Ein-
ordnung auch die Wahrnehmung noch keine „Wirklichkeit“ ergibt.
Die Wahrnehmung ist also zwar notwendige, aber nicht hinreichen-
de Bedingung für eine Realitätsfeststellung. Was unterscheidet
Sinnestäuschungen,Halluzinationen, Traumerlebnisse von der wahr-
genommenen Wirklichkeit ? Nichts anderes als dies, daß jene Wahr-
nehmungen im Gesamtkomplex unserer übrigen Wahrnehmungen
als „Schein“ entlarvt werden. So spiegeln mir während des Trau-
mes3 Wahrnehmung und Erlebnis volle Wirklichkeit vor, und wenn
es kein Erwachen gäbe, so würde ich an der Wirklichkeit des Ge-
träumten nicht zweifeln — kommt es ja sogar vor, daß mir imTraum
das Wirkliche als bloß geträumt erscheint! Aber es gibt ein Erwa-
chen und die nun auftretenden Wahrnehmungen und Erlebnisse, wo-
1 Insofern hat Sa.uer nicht unrecht, wenn er den Begriff der Tatsache
geradezu als „das Beweisobjekt, d. i. das Beweisbare“ definiert. Siehe Grund-
lagen des Prozeßrechts, 1919, S. 60f. Vgl. auch RGSt. 55, S. 131: „Der Be-
griff der Tatsache i. S. des § 186 StGB, setzt etwas Geschehenes oder etwas
Bestehendes voraus, das zur Erscheinung gelangt und in die Wirklichkeit ge-
treten ist und das daher dem Beweise zugänglich ist. Auch innere Vorgänge
und Zustände können unter den Begriff fallen, aber nur dann, wenn sie in
erkennbare Beziehungen gesetzt werden zu bestimmten äußeren Geschehnis-
sen, durch die sie in das Gebiet der wahrnehmbaren äußeren Welt getreten
sind“.
2 Auf die Probleme, wie sich Wahrnehmung und Erinnerung, äußere und
innere Wahrnehmung voneinander genauer scheiden, braucht hier nicht ein-
gegangen zu werden.
3 Zu den Halluzinationen s. etwa Dilthey, a. a. 0., S. 119ff.
 
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