70
Karl Engisch:
anderem Wege1 die Autorschaft sicherstellen muß. Schriftliche und
mündliche Aussagen müssen dann richtig aufgenommen und
gedeutet werden, d. h. der Beweiserhebende darf sich nicht ver-
lesen und nicht verhören und er muß sich auf Grund richtiger Inter-
pretation der Aussagen der Auskunftsperson eine Vorstellung von
dem dargestellten Sachverhalt machen, die den Vorstellungen ent-
spricht, die der Berichterstatter mit seinen Worten verbindet; die
„Entsprechung“ bedeutet dabei natürlich nicht völlige Gleichartig-
keit, sondern nur Gleichartigkeit in den Punkten, die für die juri-
stische Würdigung erheblich sind2. Die Vorstellungen des Bericht-
erstatters sind — wenn er gutgläubig ist — Erinnerungsvor-
stellungen, die auf eine Wahrnehmung des erheblichen Sachver-
halts Bezug nehmen und von denen der Beweisaufnehinende
sich überzeugt halten muß, daß sie mit der ursprünglichen
Wahrnehmung im wesentlichen übereinstimmen. Da ein
Erfahrungssatz, daß die Erinnerungen den ursprünglichen Wahr-
nehmungen genau entsprechen, nur mit mannigfachen Vorbehalten
angenommen werden darf, wird sich das Gericht auf eine einzelne
Auskunftsperson nur ungern verlassen. Je mehr Originalzeugen
zur Verfügung stehen, die die gleichen Erinnerungen mitteilen, um-
so größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß diese Erinnerungen wahr-
nehmungstreu sind. Ist so schließlich der Beweiserhebende bei der
Wahrnehmung des Berichterstatters angelangt, so wird er diese
Wahrnehmung als Gewähr der Wirklichkeit des wahrge-
nommenen, erinnerten und geschilderten Sachverhalts, ja gleich-
sam als Ersatz der eigenen Wahrnehmung ansehen, wenn nicht wie-
der besondere Umstände (die Möglichkeit von Sinnestäuschungen
usw.) Zweifel an der „Richtigkeit“ der Wahrnehmung wachrufen.
Wir sehen also, wie dieser alltägliche Fall der Auswertung schrift-
licher oder mündlicher Berichte eine Vielzahl von Feststellungen in
sich schließt, deren jede unter Umständen gefährdet ist durch Zwei-
fel an ihrer Zuverlässigkeit angesichts der Möglichkeit von Sinnes-
täuschung, falscher Verarbeitung des Wahrnehmungsmaterials,
fehlerhafter Erinnerung, inkorrekter Wiedergabe, ja lügenhafter
Entstellung des Erinnerten3. Wir erkennen auch erneut, worauf
1 Hierzu ausführlich Planck II, S. 219ff.
2 Vgl. hierzu Sigwart, Logik II, S. 640/41.
3 Auf weitere Einzelheiten kann an dieser Stelle nicht eingegangen wer-
den. Von großer Bedeutung ist hier namentlich das Material, das die „Psycho-
logie der Aussage“ in den letzten Jahrzehnten geliefert hat.
Karl Engisch:
anderem Wege1 die Autorschaft sicherstellen muß. Schriftliche und
mündliche Aussagen müssen dann richtig aufgenommen und
gedeutet werden, d. h. der Beweiserhebende darf sich nicht ver-
lesen und nicht verhören und er muß sich auf Grund richtiger Inter-
pretation der Aussagen der Auskunftsperson eine Vorstellung von
dem dargestellten Sachverhalt machen, die den Vorstellungen ent-
spricht, die der Berichterstatter mit seinen Worten verbindet; die
„Entsprechung“ bedeutet dabei natürlich nicht völlige Gleichartig-
keit, sondern nur Gleichartigkeit in den Punkten, die für die juri-
stische Würdigung erheblich sind2. Die Vorstellungen des Bericht-
erstatters sind — wenn er gutgläubig ist — Erinnerungsvor-
stellungen, die auf eine Wahrnehmung des erheblichen Sachver-
halts Bezug nehmen und von denen der Beweisaufnehinende
sich überzeugt halten muß, daß sie mit der ursprünglichen
Wahrnehmung im wesentlichen übereinstimmen. Da ein
Erfahrungssatz, daß die Erinnerungen den ursprünglichen Wahr-
nehmungen genau entsprechen, nur mit mannigfachen Vorbehalten
angenommen werden darf, wird sich das Gericht auf eine einzelne
Auskunftsperson nur ungern verlassen. Je mehr Originalzeugen
zur Verfügung stehen, die die gleichen Erinnerungen mitteilen, um-
so größer ist die Wahrscheinlichkeit, daß diese Erinnerungen wahr-
nehmungstreu sind. Ist so schließlich der Beweiserhebende bei der
Wahrnehmung des Berichterstatters angelangt, so wird er diese
Wahrnehmung als Gewähr der Wirklichkeit des wahrge-
nommenen, erinnerten und geschilderten Sachverhalts, ja gleich-
sam als Ersatz der eigenen Wahrnehmung ansehen, wenn nicht wie-
der besondere Umstände (die Möglichkeit von Sinnestäuschungen
usw.) Zweifel an der „Richtigkeit“ der Wahrnehmung wachrufen.
Wir sehen also, wie dieser alltägliche Fall der Auswertung schrift-
licher oder mündlicher Berichte eine Vielzahl von Feststellungen in
sich schließt, deren jede unter Umständen gefährdet ist durch Zwei-
fel an ihrer Zuverlässigkeit angesichts der Möglichkeit von Sinnes-
täuschung, falscher Verarbeitung des Wahrnehmungsmaterials,
fehlerhafter Erinnerung, inkorrekter Wiedergabe, ja lügenhafter
Entstellung des Erinnerten3. Wir erkennen auch erneut, worauf
1 Hierzu ausführlich Planck II, S. 219ff.
2 Vgl. hierzu Sigwart, Logik II, S. 640/41.
3 Auf weitere Einzelheiten kann an dieser Stelle nicht eingegangen wer-
den. Von großer Bedeutung ist hier namentlich das Material, das die „Psycho-
logie der Aussage“ in den letzten Jahrzehnten geliefert hat.