Metadaten

Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1960, 1. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung — Heidelberg, 1960

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42461#0086
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
76

Karl Engisch:

oder Wirkungen in Frage stehen, ergibt sich ein Ausschluß anderer
Möglichkeiten dadurch, daß bestimmte Ursachen oder Wirkungen
grundsätzlich mit Begleitumständen auftreten, die hic et nunc zu
vermissen sind. Auf diese Weise werden dann insbesondere auch
im Strafprozeß Ausreden des Angeklagten als Lügen entlarvt. Hat
sich jemand beim Rasieren geschnitten, so findet man hiervon die
Blutspuren am Kragen oder an der Vorderseite des Rockes, kaum
aber unten an den Hosen, wo sie im konkreten Falle zu finden ge-
wesen sind, was eben darauf schließen läßt, daß sich der Täter dort
beim Hantieren am Opfer befleckt hat und nicht, wie er behauptet,
beim Rasieren. Soll bei einem „tragischen Ableben“ Selbstmord in
Frage kommen, so muß der Schuß aus solcher Nähe abgefeuert wor-
den sein, daß sich hiervon die besonderen Kennzeichen bemerkbar
machen. Fehlen diese Kennzeichen im konkreten Fall, so scheidet
Selbstmord aus. „Solange uns ein gegebener Tatbestand nur in sei-
nen großen Umrissen bekannt ist, pflegen uns sehr verschiedene
Ursachen desselben als mögliche vorzuschweben; sobald dagegen
die feineren Nebenzüge bekannt werden, welche ihn charakterisie-
ren, verengt sich die Auswahl beträchtlich . . .“ (Lotze)1. Natür-
lich kann gerade auf diesem Wege auch ein Indizienbeweis in einer
bestimmten Richtung zusammenbrechen. Nachdem zuvor alle Tat-
sachen auf die Vaterschaft einer bestimmten Person hingewiesen
haben, wird durch Blutgruppenuntersuchung festgestellt, daß diese
Person doch nicht als Vater in Frage kommt. „Es können Umstände
vorhanden sein, welche die einzelnen Indizien, auf welche der Haupt-
beweis gestützt wird, zerstören oder abschwächen (Gegenbeweise
gegen Indizien), oder solche, welche sich dem Totalergebnis des un-
ternommenen Hauptbeweises entgegenstellen (Gegenanzeigen)“2.
Da es sich aber für uns um die logische Erhellung des erfolgreichen
Indizienbeweises handelt, brauchen wir auf die Einzelheiten seiner
Zerstörung nicht näher einzugehen. Nur soviel ergibt sich an dieser
1 Übrigens können auch negative Indizien in diesem Sinne aufschluß-
reich sein, obwohl Lotze vor einem Schluß aus Verneinungen (wie zum Bei-
spiel der Unterlassung einer Handlung) warnt. Handelt es sich etwa um die
Aufklärung des Motivs der Tat, so kann daraus, daß der Ermordete nicht aus-
geplündert worden ist, geschlossen werden, daß der Täter nicht aus Habsucht,
sondern etwa aus Eifersucht gehandelt hat. Die Unterscheidung von Positivem
und Negativem ist ja hier auch wieder unsicher. So könnte man das Indiz
„nicht ausgeplündert“ auch so umschreiben: die Brieftasche war noch vor-
handen, desgleichen der wertvolle Ring am Finger.
2 Glaser, a.a.O., S. 746.
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften