Metadaten

Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Hrsg.]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1960, 1. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung — Heidelberg, 1960

DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.42461#0101
Lizenz: Freier Zugang - alle Rechte vorbehalten
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Logische Studien zur Gesetzesanwendung

91

herige Betrachtung über die Struktur des juristischen Ableitungs-
schlusses und seines Untersatzes über den Haufen geworfen. Im
Untersatz der juristischen Deduktion wird ja, wie wir gesehen ha-
ben, einerlei ob es sich um die Struktur des modus ponens oder des
modus barbara handelt, zugleich eine Tatsachenfeststellung und
eine Subsumtion vollzogen. Gerade daraus erwachsen aber die
Schwierigkeiten. Der juristische Untersatz enthält nicht bloß die
Feststellung darüber, daß ein klar bestimmtes Etwas (z. B. eine
Handlung) da ist, sondern zugleich das Urteil, daß dieses Etwas
als ein so beschaffenes (also z. B. als eine „vorsätzliche“ = „be-
wußte und gewollte“ Tötung) da ist. Es geht hier stets um das
reale Dasein eines Soseins und das reale Sosein eines Daseins, und
zwar ist das Sosein in diesem Falle stets das Sosein im Sinne eines
bestimmten gesetzlichen Tatbestandes, also eine „Tatbestands-
mäßigkeit“, ein Sobeschaffensein, wie es der gesetzliche Tatbestand
voraussetzt. Wie aber will ich das Sosein im Sinne eines bestimm-
ten gesetzlichen Tatbestandes (z. B. die Qualität einer Handlung
als einer vorsätzlichen Tötung) als realiter vorhanden feststellen,
ohne mit dieser Feststellung eines Subsumtion zu verbinden ? Wie
„Sosein“ allgemein bedeutet: „so wie ein anderes Sein“, so bedeutet
nach dem früher Gesagten auch das spezielle Sosein im Sinne eines
bestimmten gesetzlichen Tatbestandes die Gleichheit oder wenig-
stens Ähnlichkeit mit den vom gesetzlichen Tatbestand gemeinten
Fällen. Die Feststellung dieser Gleichheit oder Ähnlichkeit als
wirklich gegeben scheint also von einer Subsumtion als dem Voll-
züge der Gleichsetzung nicht getrennt werden zu können. Anders
gewendet: Ein Sosein feststellen kann ich nur vermittels begriff-
licher Beschreibung und Prädizierung. Handelt es sich aber um
das Sosein im Sinne eines bestimmten gesetzlichen Tatbestandes,
so scheint es, daß ich mich einer rechtsbegrifflichen Beschreibung
und Prädizierung bedienen muß, die zugleich Subsumtion unter
die gesetzlichen Tatbestandsbegriffe bedeutet. Nehmen wir den be-
sonders günstigen Fall, daß der Richter selbst einen Sachverhalt
wahrnimmt, den er zu beurteilen hat (vgl. oben S. 62): Der Richter
sieht einen Zeugen vor sich in einem Aufzug erscheinen, den er für
ungebührlich erachtet. Was ist an dem Urteil, daß der Zeuge sich
einer Ungebühr schuldig gemacht hat, Tatsachenfeststellung im
Sinne begrifflich fixierter Wahrnehmung und was Subsumtion im
Sinne einer Gleichsetzung des Wahrgenommenen mit den vom ge-
setzlichen Tatbestand gemeinten Fällen ? Beruht nicht das Urteil
 
Annotationen
© Heidelberger Akademie der Wissenschaften