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Karl Engisch:
rechtliche Würdigung aufmacht“1. Die vorrechtlichen Begriffe, auf
die die gesetzlichen Tatbestandsbegriffe zurückgeführt werden, müs-
sen zwar dem Umfange nach mit diesen übereinstimmen, aber durch
die Kunst der Definition und Beschreibung werden sie inhaltlich
so bestimmt, daß sich diese Bestimmung als Lösung der Rechts-
frage von ihrer Anwendung auf die Wirklichkeit selbst als Tatfrage
klar abhebt. Alle juristischen Fragen sind durch die Reduktion auf
die natürlichen Tatsachenbegriffe bereits erledigt, und es bleibt als
Problem der Tatsachenfeststellung nur noch übrig, ob dies oder
jenes geschehen ist, ob also z. B. fünf oder zehn Flaschen Wein
weggenommen wurden oder 60 km gefahren wurden oder die Seh-
schärfe auf 1/10 oder 1/20 oder 1/50 herabgemindert ist usw.
Dabei ist nun noch einigen Unklarheiten und Mißverständnis-
sen vorzubeugen.
1. Gehe ich von den gesetzlichen Begriffen zu den sie „konsti-
tuierenden“ tatsächlichen Merkmalen über, erkläre ich also bei-
spielsweise: der Verlust des Sehvermögens ist sowohl der Total-
verlust wie auch die Herabminderung des Sehvermögens auf x%
des normalen Sehvermögens, „Nachtzeit“ ist die Zeit von 10 Uhr
abends bis 6 Uhr morgens usw., so habe ich es insoweit mit Aus-
legung, Definition und Subordination zu tun. Die uns eigentlich
allein interessierende Frage des Verhältnisses von Tatsachenfest-
stellung und Subsumtion ist nur insofern mit dieser Methode
der „Auflösung in konstituierende Merkmale“ oder, wie wir uns
ausdrückten, der „Ersetzung der gesetzlichen Begriffe durch be-
stimmte natürliche Tatsachenbegriffe“ verknüpft, als auch die Zu-
ordnung eines einzelnen rechtlich zu beurteilenden Falles zu den
vom Gesetz gemeinten Fällen den Weg über solche konstituierende
Merkmale nehmen kann. Es werde behauptet oder stehe bereits
fest, daß jemand das Sehvermögen bis auf 1/50 der normalen Seh-
schärfe eingebüßt hat; dann ist die Entscheidung, daß dieser Fall
der Herabminderung den Fällen des völligen Verlustes des Seh-
vermögens gleichzuachten ist, eine Subsumtion, wobei der Fall
selbst auch ohne Rücksicht auf sein Erwiesensein in tatsächlichen
Begriffen beschrieben und als so beschriebener subsumiert werden
kann: für den Beweis bleibt dann Vorbehalten die Feststellung, daß
sich das in tatsächlichen Begriffen Beschriebene wirklich ereignet
hat. Im übrigen kommt es für den Gegensatz von Tat- und Rechts-
1 Siehe übrigens gegen Radbruch auch, wenn auch unter anderen Ge-
sichtspunkten: Sauer, S. 65/66; Mannheim, S. 63/64; Manigk, S. 133 Abs. 3.
Karl Engisch:
rechtliche Würdigung aufmacht“1. Die vorrechtlichen Begriffe, auf
die die gesetzlichen Tatbestandsbegriffe zurückgeführt werden, müs-
sen zwar dem Umfange nach mit diesen übereinstimmen, aber durch
die Kunst der Definition und Beschreibung werden sie inhaltlich
so bestimmt, daß sich diese Bestimmung als Lösung der Rechts-
frage von ihrer Anwendung auf die Wirklichkeit selbst als Tatfrage
klar abhebt. Alle juristischen Fragen sind durch die Reduktion auf
die natürlichen Tatsachenbegriffe bereits erledigt, und es bleibt als
Problem der Tatsachenfeststellung nur noch übrig, ob dies oder
jenes geschehen ist, ob also z. B. fünf oder zehn Flaschen Wein
weggenommen wurden oder 60 km gefahren wurden oder die Seh-
schärfe auf 1/10 oder 1/20 oder 1/50 herabgemindert ist usw.
Dabei ist nun noch einigen Unklarheiten und Mißverständnis-
sen vorzubeugen.
1. Gehe ich von den gesetzlichen Begriffen zu den sie „konsti-
tuierenden“ tatsächlichen Merkmalen über, erkläre ich also bei-
spielsweise: der Verlust des Sehvermögens ist sowohl der Total-
verlust wie auch die Herabminderung des Sehvermögens auf x%
des normalen Sehvermögens, „Nachtzeit“ ist die Zeit von 10 Uhr
abends bis 6 Uhr morgens usw., so habe ich es insoweit mit Aus-
legung, Definition und Subordination zu tun. Die uns eigentlich
allein interessierende Frage des Verhältnisses von Tatsachenfest-
stellung und Subsumtion ist nur insofern mit dieser Methode
der „Auflösung in konstituierende Merkmale“ oder, wie wir uns
ausdrückten, der „Ersetzung der gesetzlichen Begriffe durch be-
stimmte natürliche Tatsachenbegriffe“ verknüpft, als auch die Zu-
ordnung eines einzelnen rechtlich zu beurteilenden Falles zu den
vom Gesetz gemeinten Fällen den Weg über solche konstituierende
Merkmale nehmen kann. Es werde behauptet oder stehe bereits
fest, daß jemand das Sehvermögen bis auf 1/50 der normalen Seh-
schärfe eingebüßt hat; dann ist die Entscheidung, daß dieser Fall
der Herabminderung den Fällen des völligen Verlustes des Seh-
vermögens gleichzuachten ist, eine Subsumtion, wobei der Fall
selbst auch ohne Rücksicht auf sein Erwiesensein in tatsächlichen
Begriffen beschrieben und als so beschriebener subsumiert werden
kann: für den Beweis bleibt dann Vorbehalten die Feststellung, daß
sich das in tatsächlichen Begriffen Beschriebene wirklich ereignet
hat. Im übrigen kommt es für den Gegensatz von Tat- und Rechts-
1 Siehe übrigens gegen Radbruch auch, wenn auch unter anderen Ge-
sichtspunkten: Sauer, S. 65/66; Mannheim, S. 63/64; Manigk, S. 133 Abs. 3.