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Engisch, Karl; Heidelberger Akademie der Wissenschaften / Philosophisch-Historische Klasse [Editor]
Sitzungsberichte der Heidelberger Akademie der Wissenschaften, Philosophisch-Historische Klasse (1960, 1. Abhandlung): Logische Studien zur Gesetzesanwendung — Heidelberg, 1960

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https://doi.org/10.11588/diglit.42461#0116
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106

Karl Engisch:

teiligt, inwiefern bei geistigen Gebilden, Bräuchen und Sitten von
„Tatsachen“ gesprochen werden kann, inwiefern sie „wirklichkeits-
artig“ sind. Wieweit nun bei diesen Fallkreisen die „Tatsachen-
feststellung“ geht, was hier überhaupt als „Tatsache“ angesehen
werden kann, wo die „Wertung“ einsetzt (einerlei ob diese eine
rechtliche oder außerrechtliche ist), wieweit sich die Tatsachenfest-
stellung mit einer Subsumtion verbindet und demgemäß Tat- und
Rechtsfrage untrennbar werden, alles dies sei in Kürze einer ge-
sonderten Untersuchung unterworfen.
Was dabei zunächst die Auslegung von Äußerungen und Er-
klärungen betrifft, so handele es sich etwa um die Auslegung eines
gedruckten Gedichts (siehe das Beispiel oben S. 87). Daß hier die
Feststellung des äußerlich in Erscheinung tretenden Wortlauts eine
Angelegenheit der Tatsachenfeststellung ist, ist nicht zweifelhaft.
Wohin aber gehört die Erfassung des Sinnes der Äußerung? Meint
man mit dem „Sinn“ ein irreales Gebilde, das vom Akt des Meinens
ganz abgelöst ist, so kann seine Erfassung von vornherein keine Tat-
sachenfeststellung sein. Versteht man dagegen unter dem „Sinn“
der Äußerung einen Bewußtseinsinhalt, also etwa dasjenige, was
sich der Äußernde selbst bei seinen Worten gedacht hat, so möchte
man nach dem früher Gesagten glauben, daß er ein factum inter-
num sei, also ein Objekt der Tatsachenfeststellung. Bedeutet hin-
wiederum „Sinn“ soviel wie der sprachübliche Sinn, also der Sinn,
der den Worten im Bewußtsein einer bestimmten Gruppe von Men-
schen gewöhnlich innewohnt, so wird es darauf ankommen, ob man
Sprachgebräuche wie überhaupt Regeln des Geschehens zur Wirk-
lichkeit rechnet oder nicht (siehe hierzu oben S. 44). Trägt man
hiergegen keine Bedenken, so könnte man auch die Feststellung des
sprachgebräuchlichen Sinnes einer Äußerung als eine Tatsachen-
feststellung ansehen. In der Tat entscheidet sich auch beispiels-
weise Beling beim Revisionsproblem für diese Lösung. „Handelt
es sich im Beleidigungsprozeß darum, daß X dem Y gegenüber eine
bestimmte Geste gemacht hat (geschichtliches Rohmaterial), so fal-
len auseinander die Fragen: 1. Welchen objektiven Sinn hatte diese
Geste ? 2. Welchen Sinn verband X mit ihr ? 3. Welchen Sinn hat
man mit dem Begriff 'Beleidigung’ zu verbinden? Innerhalb des
der Revision entzogenen Bereichs der Tatsachenfeststellung hegt
nun nicht bloß 2., sondern auch 1., denn der objektive Sinn der
konkreten Äußerung ist eine an der Hand des Erfahrungssatzes fest-
zustellende Tatsache, daß man im Leben derartige Gesten unter
 
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